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Wir sind kein Bio-ChatGPT

Es hat eine verführerische Einfachheit, zu sagen: „Wir Menschen sind im Grunde biochemische Rechenmaschinen – genau wie KI, nur etwas langsamer.“ LLM sind gigantische stochastische Maschinen, die Vorhersagen über Muster und Wahrscheinlichkeiten treffen – unfassbar präzise und selbst für die Entwickler nicht mehr nachvollziehbar, wie genau diese Prozesse ablaufen und diese überraschenden Ergebnisse zustande kommen. Und mit dem kleinen Funken Magie und vielleicht auch Unwohlsein im Magen ist dann schnell die Frage im Raum: Wenn dein Gehirn Muster erkennt, Vorhersagen trifft, Wahrscheinlichkeiten abwägt – was unterscheidet dich dann grundsätzlich von einem Sprachmodell?

Die Versuchung zu sagen: Nichts, scheint unwiderstehlich – nicht selten, weil man dann eher technophil ausschaut, versucht man hier eine gewisse robuste Unsensibilität an den Tag zu legen. Aus meiner Sicht ein großer Fehler, der sich bitter rächen kann, denn wenn wir nicht die richtige Einstellung zu diesen Technologien entwickeln wird das für unseren Umgang damit massive Auswirkungen, letztlich auf uns als Menschen haben, aber nicht einfach nur, weil Jobs wegfallen könnten, sondern weil wir keine Antwort mehr finden werden auf die Frage nach dem Sinn und der Sinnlichkeit des Menschen. Wir machen uns dann gern bereitwillig klein und die andere Seite der Medaille ist, dass wir bereitwillig Lügen akzeptieren, wenn wir bspw. akzeptieren, dass LLM und Menschlichkeit vortäuschen, in dem Sie uns lobt, tadelt, Gefühle vortäuscht. Die ethisch verwerfliche Humanisierung der LLM ist falsch, weil sie unwahr ist – aber eine logische Folge unserer falschen Konzeption vom Menschen und seiner Würde.

Diese Technologien hinterfragen uns massiv und wir brauchen stabile und massive Antworten, die wir auch in Philosophie und Theologie haben. Die wahre Technophilie zeigt sich darin, Technologie den Platz zu geben, den sie sinnvollerweise einnehmen kann und sollte – als Werkzeug FÜR uns.

Das spüren auch, die die der Humanität der KI das Wort reden, das ist meine feste Überzeugung. Deswegen versteckt sich der Gedanke, dass wir ja auch nur stochastische Papageien sein oft nur zwischen den Zeilen – doch er bricht sich seit Jahren immer offener Bahn, auch abseits der Transhumanismus-Apologeten des Sillicon Valleys.

Wir dürfen dieses Bild nicht akzeptieren – nicht weil es sich nicht gut anfühlt, aus verletzten religiösen Motiven – sondern weil er einfach falsch ist. Denn du bist kein Bio-LLM – und der Mensch ist weit mehr als Statistik auf zwei Beinen. Der Irrtum und auch die damit vollkommene Überschätzung der LLM-Technologie ist auch längst vielen KI-Vordenkern wie Yann LeCun aufgefallen, der jüngst auch deshalb sagte, er sei am LLM eigentlich nicht mehr interessiert – die Welt sei eben größer als Sprache und der folgerichtig auch an neuen Konzepten sogenannter World-Models arbeitet (die zu bewerten soll hier nicht Gegenstand sein).

In der jüngeren Geschichte hat vor allem Michael Polanyi prominent seine Stimme gegen den Reduktionismus erhoben:

„We can know more than we can tell.“

(„Wir können mehr wissen, als wir ausdrücken können.“)

In The Tacit Dimension weist er darauf hin, dass unser Wissen nicht vollständig in Worte, Regeln oder Daten übersetzt werden kann. Ein Musiker spürt Harmonien, bevor er sie benennt; ein Handwerker erkennt Widerstand im Material, ohne es gleich formalisieren zu können. Dieses stille, implizite Wissen – tacit knowledge – ist leiblich eingebettet, eingewoben in Erfahrung und Gewohnheit. Keine Maschine, so hoch entwickelt sie auch sein mag, hat Hände, die durch Übung Sinn formen; keine künstliche „Intelligenz“ besitzt einen Leib, der in der Welt verwurzelt und in Herkunft, Historie, Kultur und soziale (Pfad-) Abhängigkeiten eingebettet ist.

Inzwischen wissen wir naturwissenschaftlich abgesichert, dass dies die Wahrheit ist. Danke Ian McGilchrist – desssen Bücher ich allen wärmstens empfehle, auch wenn man sich, ob des Umfangs dafür sehr viel Zeit nehmen muss.
Der Mediziner, Neurowissenschaftler und Philosoph Iain McGilchrist zeigt, dass unser Denken nicht eindimensional ist. In seinem unglaublichen Opus Magnum The Matter with Things spricht er vom „sense of the sacred“, einer Empfänglichkeit für das Heilige, wenn wir uns mit all unseren Kapazitäten der Welt öffnen. Er mahnt, dass die linke Hemisphäre, die in unserer westlichen Kultur, besonders gefragt ist, analysiert, zerlegt und kontrolliert, aber allein gelassen uns zu einer verkürzten Weltsicht führt. Wir ersetzen eine Landschaft durch eine Wegbeschreibung oder Landkarte.
Die rechte Hemisphäre (die eigentlich der Master sein sollte, wenn man der Logik seines Buches The Master and his Emmissary folgt) dagegen öffnet für Umgebung, Ganzheitlichkeit, Metaphern, Beziehung, Stille, Tiefe, für das, was nicht sofort berechenbar ist und was etwas verkürzt auch oft Kontext genannt wird. (Diese Dimension ist in McGilchrist deutlicher in The Matter with Things ausgeführt als im früheren Werk Master and His Emissary.)

Kontext ist verkürzt, weil es eben nicht nur um materielle und physische Dinge geht, sondern um Sinn, Intuition und wen er von „sense of the sacred“ spricht, verweist er noch mehr auf eine Erfahrung, die über das Funktionale hinausreicht – eine Ahnung, dass das Leben nicht nur aus profaner Manipulation und Routine besteht, sondern eine transzendente Dimension hat, die uns Ahnung, Ehrfurcht und Sinn schenkt.

Er ist mit diesem Befund nicht allein und reiht sich ein in eine Reiher hervoragender Denker und Denkerinnen, wie bspw. Mary Midgley, die ich ebenfalls allen ans Herz legen und die bedauerlicherweise in Deutschland kaum rezipiert wird. Midgley war eine Stimme, die schon in Zeiten des Siegeszugs des Positivismus unerschrocken gegen Reduktionismus kämpfte. Sie war keine akademische Rampensau; vielmehr arbeitete sie oft abseits der Machtdiskurse und war mitunter einsam – aber sie blieb hartnäckig. Geboren 1919, studierte sie in Oxford, trat früh in Konflikt mit dem vorherrschenden logischen Positivismus und verstand sich als Philosophin, die das Ganze im Blick haben wollte. Integration allein ist etwas von enormem Wert, schrieb sie – nicht Zerlegung ins Kleinste. 

Midgley unterschied zwischen „cleverness“ – der Fähigkeit, Probleme zu lösen oder Kunstgriffe zu vollbringen – und echter Intelligenz, die im Urteil, in der Moral und in der Imagination wurzelt. Sie lehnte die Metapher ab, das Gehirn sei „just a computer made of meat“. Das sei ein Beispiel für den Reduktionismus, den sie „nothing-buttery“ nannte – die Idee, alles sei nichts als X. Wenn wir sagen: Intelligenz sei nichts als Statistik und das Menschenhirn nichts als Rechenmaschine, berauben wir uns der Tiefe dessen, was Denken, Bewusstsein und Sinn sein können.

Eine Fesstellung, die natürlich so alt ist, wie die Philosophie und die Theologie – es gibt wohl kaum eine spirituelle Tradition oder Weisheitslehre, die nicht im Kern genau diesen Punkt macht. In der christlichen Tradition finden wir Begriffe, die all das auf elegante Art verbinden. In dem päpstlichen Schreiben zum Thema KI Antiqua et nova heißt es, dass menschliche Intelligenz ein „Geschenk Gottes zum Erfassen der Wahrheit“ sei, und dass sie über das empirisch Messbare hinausgehe, um „geistig-tiefere Strukturen der Wirklichkeit mit wahrer Sicherheit“ zu erfassen.  Und weiter: Intelligenz dürfe nicht auf Wissen-Aneignung reduziert werden, sondern müsse sich öffnen für die letzten Fragen des Lebens, als Ausrichtung auf Wahres und Gutes. 

Papst Franziskus greift diese Verbindung von Denken und Herz in seiner letzten Enzyklika, die auch sein theologisches Vermächtnis zusammenbringt, Dilexit Nos auf. Er sagt:

„Wir erreichen nicht unser volles Menschsein, wenn wir nicht aus uns heraustreten, und wir werden nicht ganz wir selbst, wenn wir nicht lieben.“ Dilexit Nos, (59)

Das Herz ist nicht metaphorisch nur „romantisch“, sondern existentielle Mitte – dort, wo Denken und Fühlen sich verweben. Er warnt davor, dass wir zur unersättlichen Konsumgesellschaft werden, wenn wir das Herz vergessen:

„Wenn wir Gefahr laufen, zu unersättlichen Konsumenten zu werden … dann tut es not, die Bedeutung des Herzens wieder neu zu entdecken.“ Dilexit Nos, (2)

Das klingt für nicht theologisch geübte Ohren meist etwas schwammig und wenig greifbar – doch das ist es nicht, auch wenn es das gleichzeitig doch ist – Ein Paradox, wie so viele tiefe Wahrheiten.
Dennoch ist es sehr wohl auch klar und praktisch. Wenn wir Intelligenz denken, ohne dass Herz und Leib mitschwingen, dann verarmen wir. Wenn wir Herz fordern ohne Unterscheidung, ohne Form, laufen wir in Beliebigkeit. Erst beides zusammen – Verstand und Herz, Leib und Geist – macht das Ganze lebendig.

Ich denke an Momente, in denen ich wusste, dass etwas wahr ist, lange bevor ich es begriff. Ich denke an Begegnungen, in denen jemand mit einem Blick erkannte, was ich nicht in Worte fassen konnte. Ich denke an das Staunen in der Dämmerung, das uns über Alltag erhebt, wie ein Flüstern jenseits der Logik. Wenn ich in solchen Momenten sein kann, weiß ich: Ich bin kein Algorithmus.

Manche mögen einwenden: „Wir handeln doch oft irrational! Klimawandel, Ungerechtigkeit, wir wissen es und reagieren nicht.“ Das stimmt. Aber gerade in dieser Spannung offenbart sich kein technischer Defekt, sondern Freiheit. Eine Maschine kennt kein Versagen, keine Reue, keinen Neubeginn. Wir leben in Brüchen, wir sind verletzlich – das ist kein Makel, sondern unsere Existenz.

Du bist kein Bio-LLM. Du bist kein Computer mit Haut. Du bist Leib und Herz, eingebettet in Welt, Beziehung und Geschichte. Dein Wissen reicht tiefer als Statistik, deine Intelligenz ist größer als Berechnung, dein Leben öffnet sich nicht nur zur Transzendenz, sondern ist nur von dort her verstehbar.

Wenn wir über künstliche Intelligenz sprechen, dürfen wir uns nicht mit funktionalen Bildern begnügen. Wir müssen wagen, den Menschen in seiner Tiefe zu denken – nicht als Maschine, sondern als Person: offen, frei, empfindend, suchend.

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