Kategorien
Blog

Nachhaltigkeit heißt anders denken (und glauben)

Mehr als Rezepte: Warum die katholische Soziallehre Führungskräften auch ohne Glauben etwas zu sagen hat

Seit gut 20 Jahren beschäftige ich mich nun hauptberuflich mit den Themen #Nachhaltigkeit, #Unternehmensverantwortung und #Ethik – Und es gibt dabei eine Sache, die mich am meisten stört und die aus meiner Sicht der zentrale Grund ist, warum wir längst nicht so erfolgreich transformieren, wie es notwendig und auch möglich wäre – was das ist, beschreibe ich hier in diesem Artikel, der auch die Wahl des neuen Papstes zum Anlass nimmt. Papst Leo XIV adressierte nämlich genau dieses Problem an diesem Wochenende, als er eine bemerkenswerten Rede zur katholischen Soziallehre gehalten hat und dabei einen zentralen Satz gesagt, der weit über die katholische Welt hinaus Gehör finden sollte:

„Wir müssen aufhören, in der Kirche, in der Politik, in der Wirtschaft, in der Bildung, das Ethos mit einem Satz von Rezepten oder vorgefertigten Antworten zu verwechseln. Die katholische Soziallehre ist keine Ideologie und kein Handbuch.“

Was aber ist sie dann – und warum lohnt es sich, gerade im Management, in der Unternehmensverantwortung und in der Nachhaltigkeitstransformation, ihre Prinzipien zu kennen – auch ohne christliche Überzeugungen?

Ethik beginnt nicht mit Lösungen

Papst Leo erinnert in seiner Rede an einen oft übersehenen, aber entscheidenden Punkt: Ethisches Handeln beginnt nicht mit der Suche nach der richtigen Antwort, sondern mit der Klärung der richtigen Fragen. Wer sich vorschnell auf technokratische Lösungen oder politische Schlagrichtungen stürzt – ob grün, sozial, liberal oder konservativ – läuft Gefahr, das Fundament zu übersehen: die normativen Voraussetzungen, auf denen Entscheidungen ruhen.

Die katholische Soziallehre bietet hier etwas, das in der heutigen Diskussion selten geworden ist: eine methodische Ethik. Sie sagt nicht: „So musst du handeln“, sondern fragt zuerst: Was ist der Mensch?, Was ist Gerechtigkeit?, Was schulden wir einander als Geschöpfe mit gleicher Würde?

Solche Fragen wirken abstrakt – sind aber im konkreten Management hoch relevant. Beispiel: Soll ein Unternehmen einen unrentablen Standort in einem strukturschwachen Gebiet schließen oder ihn aus sozialer Verantwortung weiterführen? Es gibt dafür keine Standardantwort – aber ein Unternehmen, das sich ernsthaft mit dem Begriff des „Gemeinwohls“ (bonum commune) auseinandersetzt, wird die Abwägung anders treffen als eines, das nur nach Shareholder-Value fragt.

Die Logik des Dialogs: Soziallehre ist kein Dogma, sondern eine Einladung

Eine der stärksten Passagen der Rede Leos XIV ist sein Bekenntnis gegen Indoktrination:

„Indoktrinieren ist unmoralisch. […] Die Doktrin ist etwas ganz anderes: Sie ist ein ernsthafter, rigoroser, offener und dialogischer Diskurs, der es uns ermöglicht, zu lernen, wie wir Problemen – und vor allem Menschen – begegnen.“

Das ist eine große Klarstellung – auch für Außenstehende: Die katholische Soziallehre ist keine Moralkeule. Sie ist vielmehr ein ethischer Denkrahmen, der über Jahrhunderte hinweg im Gespräch mit der Philosophie, der Sozialwissenschaft und der Theologie entwickelt wurde. In ihr begegnen sich Aristoteles und Thomas von Aquin, Augustinus und John Henry Newman, die Bibel und die moderne Menschenrechtserklärung. Sie will nicht indoktrinieren, sondern zum Denken anregen.

Für Führungskräfte bedeutet das: Soziallehre zwingt zu keiner konfessionellen Loyalität. Aber sie stellt anspruchsvolle Fragen: Wie steht es um die Menschenwürde in unseren Lieferketten? Dienen unsere Technologien dem Menschen oder umgekehrt? Und was ist eigentlich ein „gerechter Lohn“?

Nachhaltigkeit braucht mehr als KPIs

Wir reden viel über ESG, über SDGs, über Scope-3-Emissionen und Taxonomieanforderungen. Aber all das sind Werkzeuge – keine Ziele. Die katholische Soziallehre erinnert uns daran, dass Nachhaltigkeit kein rein ökologisches oder ökonomisches Thema ist. Sie ist ein menschliches und gesellschaftliches Thema.

In der Tradition von „Laudato si’“ (Franziskus) oder „Caritas in veritate“ (Benedikt XVI.) wird Nachhaltigkeit als Teil einer ganzheitlichen Ökologie verstanden: Es geht um die Beziehung zur Natur, zur Gesellschaft, zu künftigen Generationen – und nicht zuletzt zu uns selbst. Nur wer sich dieser Beziehungsstruktur stellt, kann glaubwürdig und langfristig handeln. Wer Nachhaltigkeit reduziert auf eine Checkliste oder ein ESG-Rating, verfehlt ihren Sinn.

Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Lebensmittelunternehmen entscheidet sich, seine gesamte Produktion auf regenerative Landwirtschaft umzustellen – nicht weil es dafür sofort belohnt wird, sondern weil es im Sinne der Bewahrung der Schöpfung und der lokalen Verantwortung handelt. Eine solche Entscheidung ist mutig – und sie lässt sich aus Sicht der Soziallehre sehr gut begründen.

Die Stimme der Armen: Ethik beginnt am Rand

Papst Leo XIV erinnert in seiner Rede an eine der zentralen Forderungen der Soziallehre: den Vorrang der Armen. Es ist kein Zufall, dass die katholische Sozialethik immer wieder die Perspektive derer einnimmt, die keine Lobby haben. Das ist kein Moralismus – es ist eine methodische Entscheidung: Wer die Realität aus Sicht der Schwächsten betrachtet, sieht klarer, was Gerechtigkeit erfordert.

Für Unternehmen kann das heißen: Nicht zuerst fragen „Was kostet das?“, sondern: „Wem nützt das?“ oder „Wer wird dabei vergessen?“. Das verändert die Perspektive – und kann Innovationsräume öffnen, wie viele soziale Unternehmer zeigen.

Und der Glaube?

Am Ende bleibt die Frage: Was, wenn ich nicht an Gott glaube – kann ich dann überhaupt mit der katholischen Soziallehre arbeiten?

Meine Antwort ist klar: Ja, das geht – und es lohnt sich. Die Grundprinzipien – Menschenwürde, Solidarität, Subsidiarität, Gemeinwohl – sind rational begründbar und lassen sich unabhängig vom Glauben reflektieren und anwenden. Aber: Die Soziallehre bleibt letztlich getragen von einer Hoffnung, die tiefer reicht als politischer Optimismus. Sie vertraut darauf, dass die Welt nicht dem Zufall ausgeliefert ist. Dass Wahrheit, Gerechtigkeit und Versöhnung möglich sind. Dass der Mensch nicht nur Konsument, sondern Ebenbild Gottes ist.

Diese Dimension mag nicht jeder teilen. Aber sie kann – selbst für Skeptiker – ein wohltuender Kontrapunkt sein in einer Welt, die sich allzu oft mit Oberflächen begnügt.

Die katholische Soziallehre ist kein Handbuch für Führung, keine politische Ideologie und kein moralischer Zeigefinger. Sie ist ein tief fundiertes, durchdachtes und erfahrungsbasiertes Modell ethischer Reflexion. Wer sich darauf einlässt, findet keine schnellen Antworten – aber die richtigen Fragen. Und das ist, gerade in Zeiten multipler Krisen, vielleicht der entscheidendere Anfang.

Kategorien
Blog

Wenn Maschinen Moral spielen

KI-Serie Teil 4 von 4

Warum intelligente Entscheidungssysteme die Ethik nicht ersetzen dürfen

Wir Menschen lieben es, Verantwortung abzugeben. An Experten, an Gremien – und immer öfter: an Maschinen. In einer Zeit, in der Entscheidungen schnell, datenbasiert und vermeintlich „objektiv“ getroffen werden sollen, erleben intelligente Entscheidungssysteme (IDSS) einen regelrechten Boom. Sie helfen Ärzten bei Diagnosen, Managern bei Personalentscheidungen und Behörden bei Risikobewertungen. Doch mit dieser Entwicklung kommt eine gefährliche Verlockung: Die Auslagerung des Gewissens.

Denn viele dieser Systeme tun längst mehr als nur „Daten zu verarbeiten“. Sie strukturieren Handlungsspielräume, setzen implizite Normen – und treffen Entscheidungen, die reale Konsequenzen für Menschen haben. Die Frage ist also nicht mehr: Kann KI Entscheidungen unterstützen?
Sondern: Darf sie uns das Denken abnehmen?

Der neue Mythos der „moralischen Maschine“

Ein beliebtes Narrativ lautet: Künstliche Intelligenz sei neutral. Sie bewerte nur Fakten, sei schneller, effizienter, weniger voreingenommen. Doch das ist ein Trugschluss. Jeder Algorithmus basiert auf Daten – und jedes Datenmodell spiegelt menschliche Vorannahmen. Wer „Fairness“ berechnet, muss entscheiden, was fair ist. Wer „Risiko“ klassifiziert, muss implizit gewichten, wer wie viel Risiko tragen soll.

Systeme wie ChatGPT zeigen schon heute: Auch generative Modelle lassen sich nach ethischen Prinzipien konfigurieren. Oder eben nicht. Und sie geben, auf kluge Nachfrage, erstaunlich detaillierte moralische Empfehlungen. Das ist faszinierend – aber auch gefährlich. Denn mit jeder automatisierten Antwort verschiebt sich etwas in uns: unsere Intuition, unser Urteilsvermögen, unser Mut zur Unsicherheit.

Ethik ist kein Menüpunkt

Die große Illusion besteht darin, dass wir Moral in Maschinen „einbauen“ können wie ein weiteres Feature. Als ließe sich Verantwortung outsourcen – an ein neutrales, kalibriertes, ständig lernendes System. Doch echte moralische Urteilsfähigkeit ist nicht nur eine Rechenleistung. Sie ist geprägt von Ambivalenz, Erfahrung, Irritation, Reue. All das kann ein System simulieren – aber nicht durchleben.

Was also tun? Verbieten? Regulieren? Nein. Aber kritisch gestalten. Und vor allem: Begrenzen. Es muss möglich bleiben, einer Empfehlung zu widersprechen. Es muss transparent sein, wo Entscheidungen automatisiert getroffen werden. Und es muss klar gemacht werden: Der Mensch ist nicht das „letzte Glied“ – er ist der Maßstab.

Wer entscheiden will, muss zumutbar sein

Das Ziel intelligenter Systeme darf nicht sein, uns von der Verantwortung zu befreien. Sondern sie mitzudenken – und mitzutragen. Wer intelligente Systeme einsetzt, muss sich zumuten lassen, die Konsequenzen dieser Entscheidungen zu verantworten.

Und Unternehmen? Sie stehen jetzt vor einer Wahl:
→ Nutzen wir KI, um ethische Entscheidungen zu unterstützen?
→ Oder lassen wir zu, dass sie sie ersetzt?

Letzteres wäre bequem. Aber keine gute Idee. Für niemanden.

Maschinen dürfen keine Moralinstanzen werden

Wir können Verantwortung nicht automatisieren. Aber wir können Systeme bauen, die uns helfen, verantwortlich zu handeln. Dafür braucht es ethisches Design, transparente Entscheidungsprozesse, echte Partizipation – und den Mut, auch mal nicht zu automatisieren.

Denn Verantwortung bleibt – beim Menschen. Immer.

Kategorien
Blog

Künstliche Intelligenz für den Green Deal

KI-Serie Teil 3 von 4

Warum Nachhaltigkeit Technologie braucht – und Technologie Verantwortung

Die Zukunft Europas ist grün – zumindest auf dem Papier. Der Green Deal der EU soll den Kontinent bis 2050 klimaneutral machen. Gleichzeitig erleben wir einen exponentiellen Aufstieg künstlicher Intelligenz: mehr Rechenleistung, mehr Daten, mehr Automatisierung. Doch was passiert, wenn diese beiden Megatrends aufeinandertreffen?

Viele sehen in KI eine Schlüsseltechnologie für die ökologische Transformation: Energieeffizienz, Smart Grids, emissionsarme Logistik, Kreislaufwirtschaft – überall dort, wo Komplexität hoch und Ressourcen begrenzt sind, kann KI helfen, neue Lösungen zu entwickeln. Die Hoffnung ist groß: „Mehr Intelligenz, weniger Emissionen“. Doch diese Rechnung geht nicht automatisch auf. Denn je mächtiger die Technologie, desto größer auch die Verantwortung, sie richtig zu steuern.

KI – Treiber, Tool oder Trojanisches Pferd?

Auf den ersten Blick ist KI ein willkommener Beschleuniger grüner Ziele. Intelligente Systeme helfen dabei, Ressourcenflüsse in Echtzeit zu analysieren, Energieverbrauch zu optimieren oder urbane Mobilität neu zu organisieren. Landwirtschaft, Energie, Industrie – überall entstehen Pilotprojekte mit vielversprechenden Ergebnissen.

Doch der technologische Fortschritt hat seine Schattenseiten. Schon heute verbrauchen große KI-Modelle gewaltige Mengen an Strom und Rechenkapazität. Trainingsprozesse mit Millionen von Parametern hinterlassen CO₂-Fußabdrücke, die kaum messbar sind. Und nicht selten verschieben automatisierte Effizienzgewinne nur Probleme – durch Rebound-Effekte, mehr Konsum oder neue digitale Abhängigkeiten.

KI ist also weder Heilsbringer noch Feind – sie ist ein Werkzeug. Entscheidend ist, mit welchem Ziel sie eingesetzt wird und wie dieser Einsatz gesteuert, hinterfragt und begleitet wird.

Der Unterschied liegt im Design

Wenn wir KI für Nachhaltigkeit einsetzen wollen, braucht es mehr als technisches Know-how. Es braucht eine Ethik des Entwerfens. Wer entscheidet, welche Daten relevant sind? Welche Zielvariablen stehen im Mittelpunkt eines Systems? Wird die Reduktion von Emissionen gegen soziale Gerechtigkeit ausgespielt? Werden ökologische Kosten externalisiert, weil sie im Modell nicht auftauchen?

Ein nachhaltiger KI-Einsatz beginnt mit einem interdisziplinären Designprozess, der ökologische, soziale und ökonomische Dimensionen systematisch integriert. Dazu gehört:

  • die Auswahl relevanter Nachhaltigkeitsmetriken,
  • die Bewertung von Systemfolgen über den direkten Use Case hinaus,
  • sowie die Fähigkeit, technologische Entscheidungen als politische zu verstehen.

Governance statt Greenwashing

Viele Unternehmen kommunizieren heute „grüne KI-Initiativen“ – doch oft bleibt unklar, welche Standards dahinterstehen. Umso wichtiger sind transparente Governance-Strukturen: Wer trägt die Verantwortung für KI-Systeme mit Umweltwirkung? Gibt es interne Prüfverfahren für CO₂-Bilanzen? Werden Nachhaltigkeitsziele in Modellparametern berücksichtigt?

Nachhaltigkeit muss Teil der Governance von KI werden – nicht bloß Teil der Kommunikationsstrategie. Dazu gehört auch, Risiken offen zu benennen: etwa die Gefahr von Monopolisierung, von algorithmisch gesteuerter Ressourcenverteilung oder von „ökologischer Effizienz“ ohne soziale Legitimation.

KI für den Green Deal braucht Mut zur Ambivalenz

Wer heute über KI und Nachhaltigkeit spricht, darf sich nicht mit Buzzwords zufriedengeben. Es reicht nicht, Effizienz als Nachhaltigkeit zu verkaufen oder jede Innovation als Fortschritt. Der Green Deal ist kein Automatisierungsprogramm – sondern ein gesellschaftlicher Vertrag für eine andere Art zu wirtschaften.

Künstliche Intelligenz kann helfen, dieses Ziel zu erreichen. Aber nur, wenn sie in den Dienst echter Nachhaltigkeit gestellt wird – und nicht in den Dienst kurzfristiger Effizienzgewinne. Das erfordert Ethik, Governance, und manchmal auch den Mut, technologische Lösungen nicht einzusetzen, wenn sie neue Probleme schaffen.

Kategorien
Blog

KI-Ethik: Vom Prinzip zur Praxis

KI-Serie Teil 2 von 4

Wie Unternehmen KI-Verantwortung glaubwürdig und wirksam umsetzen können

Verantwortung – kaum ein Begriff ist in der Diskussion um künstliche Intelligenz so präsent und gleichzeitig so vage. Fast jedes Unternehmen, das heute KI-Technologie einführt, versichert, dies „verantwortungsvoll“ zu tun. Doch was heißt das konkret? Wie lässt sich ethische Verantwortung jenseits von wohlklingenden Leitbildern in den Alltag von Entwicklung, Implementierung und Nutzung übersetzen?

Was wir derzeit beobachten, ist ein wachsendes Spannungsfeld: Auf der einen Seite die hohe Dynamik technologischer Innovation – auf der anderen Seite ein regulatorisches und ethisches Vakuum, das Führungskräfte vor echte Gestaltungsfragen stellt. Wer Verantwortung ernst meint, muss sie strukturieren. Und das beginnt bei vier zentralen Stellhebeln, die sich zunehmend als praxisfähiger Rahmen herauskristallisieren.

1. Verantwortung braucht Sichtbarkeit: Der Weg zur echten Transparenz

Vertrauen entsteht nicht durch Versprechen, sondern durch Nachvollziehbarkeit. Gerade bei datengetriebenen Systemen, deren Entscheidungen auf komplexen Modellen und oft intransparenten Trainingsdaten beruhen, ist dies entscheidend. Doch Transparenz ist kein Selbstzweck – sie muss gestaltet werden.

Transparenz bedeutet nicht, jede Codezeile offenzulegen. Es geht vielmehr um die Schaffung verständlicher Erklärungen, um die Rückverfolgbarkeit von Entscheidungen, um Kommunikationsstrategien, die nicht nur Expert:innen erreichen. Wenn ein System zum Beispiel Bewerber:innen automatisiert filtert, sollten Betroffene nachvollziehen können, auf welcher Grundlage dies geschieht – und wer dafür einsteht. Unternehmen tun gut daran, nicht auf regulatorischen Druck zu warten, sondern selbst Maßstäbe zu setzen: etwa durch modellbegleitende Dokumentation, klare Verantwortungsangaben und transparente Risikoklassen für ihre KI-Systeme.

2. Verantwortung braucht Struktur: Ethische Prinzipien in Prozesse übersetzen

Ethische Leitlinien sind ein Anfang – aber kein Ersatz für konkrete Maßnahmen. Die entscheidende Frage lautet: Wie wird aus einem abstrakten Prinzip wie „Fairness“ ein überprüfbarer Bestandteil eines Entwicklungsprozesses? Wer ist wofür verantwortlich, wann, mit welchem Handlungsspielraum?

Verantwortung lässt sich nicht an ein „KI-Team“ delegieren. Sie muss entlang des gesamten Lebenszyklus eines Systems definiert und operationalisiert werden – von der Datenbeschaffung über das Modelltraining bis zur laufenden Nutzung. Besonders wirksam sind Modelle, die Zuständigkeiten klar zuweisen, Feedbackschleifen institutionalisieren und ethische Qualitätskontrollen als integralen Bestandteil von Entwicklung und Betrieb verankern. Wer heute Strukturen schafft, um Verantwortung zu teilen und zu steuern, investiert in Resilienz und Glaubwürdigkeit.

3. Verantwortung braucht Beteiligung: Perspektivenvielfalt als Korrektiv

Viele ethische Fehlentwicklungen entstehen nicht aus böser Absicht, sondern aus einem zu engen Blickwinkel. Wenn etwa nur eine homogene Entwicklergruppe ein System konzipiert, sind systematische Verzerrungen fast vorprogrammiert. Echte Verantwortung entsteht dort, wo unterschiedliche Perspektiven zusammenkommen – und das bewusst.

Unternehmen sollten sich trauen, den Kreis der Mitgestaltenden zu erweitern: durch interdisziplinäre Teams, durch Einbindung von Betroffenen und Fachleuten außerhalb der Organisation, durch Ethik-Boards oder Stakeholder-Dialoge. Das Ziel ist nicht Konsens um jeden Preis, sondern eine produktive Reibung, die blinde Flecken sichtbar macht, Risiken antizipiert und die normative Qualität von Technologie stärkt.

4. Verantwortung braucht Dauer: Ethik ist kein Projektabschluss

Viele Unternehmen arbeiten heute mit Ethik-Checklisten, Pre-Deployment-Assessments oder „Red Teamings“. Das ist sinnvoll – aber nicht ausreichend. Verantwortung endet nicht mit dem Launch eines Systems. Sie beginnt oft erst dort.

Was fehlt, sind dauerhafte Strukturen für Monitoring, Review und Anpassung. KI-Systeme lernen weiter, sie interagieren mit dynamischen Umwelten und Menschen – und sie können sich dadurch auch „ethisch verschieben“. Deshalb braucht es ein kontinuierliches, mehrdimensionales Monitoring: technisch, rechtlich, ethisch und soziokulturell. Unternehmen, die sich diesen Aufwand zutrauen, positionieren sich als ernstzunehmende Akteure in einer digitalethischen Zukunft.

Verantwortung beginnt mit dem Mut zur Konkretisierung

Verantwortung ist kein Gefühl und keine Haltung – sie ist ein Prozess. Und wie jeder Prozess braucht sie Zielbilder, klare Rollen, realistische Instrumente und den Willen zur ständigen Weiterentwicklung. Wer das Prinzip „verantwortungsvolle KI“ ernst meint, muss bereit sein, es in die Mühen der Ebene zu übersetzen – in Gremien, Audits, Protokolle, Schulungen und Kulturarbeit.

Die gute Nachricht: Die Werkzeuge dafür liegen längst auf dem Tisch. Es ist an der Zeit, sie zu nutzen – nicht weil man muss, sondern weil man kann.

Kategorien
Blog

Ein fiktives Gespräch zwischen Kant und Pieper: Über Pflicht, Nachhaltigkeit und das Gute

Wir fordern nachhaltiges Wirtschaften – aber warum eigentlich? Und auf welcher Grundlage?
Eines meiner grundlegenden Themen ist ja: Warum machen wir eigentlich die Dinge, die wir tun? Oder: Warum passieren immer wieder Dinge, die wir alle eigentlich nicht wollen? Ich denke, dass wir viel zu selten über unsere grundlegenden Überzeugungen und Antriebe sprechen und uns deshalb auch nicht wundern müssen, wenn wir weder Verständigung, noch sinnvolle Handlungen auf die Reihe bekommen.

In der Unternehmenspraxis stehen wir ja auch ständig vor Fragen wie:
Warum sollten wir fair oder ökologisch handeln, wenn es kurzfristig Verluste bringt?
Aber nun die Frage: Zählt allein die Wirkung – oder auch die Motivation dahinter? Oder ist es am Ende wurscht – Hauptsache das Richtige passiert?

Oder:
Ist „Pflicht“ in der Wirtschaft überhaupt noch vermittelbar?
Oder braucht es einen tieferen Sinn, der über Kennzahlen hinausgeht?

Ich habe mal in dem Artikel einen fiktiven Dialog zweier große Denker als Hintergrund genommen – wovon einer einer meine Lieblinge ist – Wer rät welcher?

Immanuel Kant oder Josef Pieper? Sie diskutieren über Pflicht, Tugend, das gute und Sinn.

Was würden sie Führungskräften und Unternehmer:innen heute sagen? Und warum spielt das eine Rolle?

Ort: Eine Bibliothek außerhalb von Raum und Zeit. Zeit: Irgendwann zwischen Aufklärung und Nachkriegsmoderne. Szene: Zwei Philosophen sitzen einander gegenüber. Zwischen ihnen liegt ein Zeitungsartikel:

„Konzern verzichtet auf Rendite zugunsten ökologischer Standards – freiwillig.“

Kant (setzt seine Brille ab)

„Ein erfreuliches Beispiel. Der Unternehmer hat offenbar aus Pflicht gehandelt. Nicht wegen Gewinn, nicht aus Sympathie. Sondern weil es richtig war.“

Pieper (leicht schmunzelnd)

„Aber würden Sie nicht zustimmen, Herr Kant, dass ein solches Handeln nicht nur formal korrekt, sondern auch gut im vollen Sinne des Wortes sein sollte? Aus der Einsicht, dass der Mensch zur Gerechtigkeit berufen ist – nicht bloß zur Gesetzestreue?“

Kant (nickt, aber bleibt fest)

„Das Gute liegt in der Form: dass der Wille sich so bestimmt, dass seine Maxime ein allgemeines Gesetz sein kann. Würde jeder Unternehmer Umweltstandards ignorieren, wäre bald keine Geschäftsgrundlage mehr übrig.“

Pieper

„Sie argumentieren vom Gesetz her. Ich vom Ziel. Der Mensch will nicht nur richtig handeln – sondern gut leben. Nachhaltigkeit ist nicht bloß Pflicht, sondern Teil einer Ordnung des Guten. Sie erinnern sich an Thomas von Aquin: Bonum est diffusivum sui – das Gute teilt sich mit.“

Stille. Eine junge Stimme fragt von irgendwo im Raum:

„Aber was, wenn mich das Gute ruinieren würde? Wenn ich wegen meines Gewissens scheitere?“

Kant (klar und ruhig)

„Moralisches Handeln misst sich nicht an seinem Ausgang. Es ist nicht gut wegen der Wirkung, sondern weil es dem Gesetz der Vernunft gehorcht. Wer so handelt, handelt frei – auch im Untergang.“

Pieper (leise)

„Und doch ist das Gute mehr als Gesetz. Es ist etwas, das den Menschen erfüllt. Wer nachhaltig handelt, tut nicht nur seine Pflicht – er antwortet auf einen Sinn. Auf ein logos – sei es als Schöpfungsverantwortung, soziale Gerechtigkeit oder Achtung vor dem Lebendigen.“


Kant blickt nachdenklich auf das Zeitungspapier. Pieper nimmt ein Buch zur Hand.

Kant (nach einer Pause)

„Ich habe Gott nur als Postulat der praktischen Vernunft eingeführt. Weil Moral Sinn braucht – über das Sichtbare hinaus. Ich frage mich, ob ich damit nicht doch mehr gesagt habe, als ich zugeben wollte.“

Pieper (lächelt, aber ernst)

„Vielleicht, Immanuel. Vielleicht ist es gerade die Pflicht, die den Menschen zum Guten hinführt – das größer ist als er selbst. Und vielleicht ahnt selbst ein pflichtgetreuer Unternehmer:

Ich tue das Richtige – weil es wahr ist. Und weil ich dadurch mehr Mensch werde.

Ein fiktives Gespräch zwischen Kant und Pieper: Über Pflicht, Nachhaltigkeit und das Gute

Ort: Eine Bibliothek außerhalb von Raum und Zeit. Zeit: Irgendwann zwischen Aufklärung und Nachkriegsmoderne. Szene: Zwei Philosophen sitzen einander gegenüber. Zwischen ihnen liegt ein Zeitungsartikel:

„Konzern verzichtet auf Rendite zugunsten ökologischer Standards – freiwillig.“

Nachwort: Pflicht oder Gutsein – zwei Wege zur Moral in der Wirtschaft

Der fiktive Dialog zwischen Immanuel Kant und Josef Pieper beleuchtet zwei sehr unterschiedliche Wege zu moralischem Handeln – beide rational, beide ernsthaft, beide relevant für die Wirtschaftsethik. Aber sie setzen an unterschiedlichen Stellen an – und führen möglicherweise zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Immanuel Kant: Moral aus Pflicht – unabhängig von Folgen

Kant vertritt eine deontologische Ethik:

  • Moral entsteht durch die Fähigkeit des Menschen, sich selbst ein Gesetz zu geben – das aber für alle gelten muss.
  • Der sogenannte kategorische Imperativ prüft, ob meine Handlungsregel („Maxime“) verallgemeinerbar ist. Wenn nicht – ist sie unmoralisch.
  • Entscheidend ist nicht der Zweck, nicht das Gefühl, nicht der Nutzen – sondern die reine Vernunft und die Absicht, aus Pflicht zu handeln.

Für Kant ist also nachhaltiges Wirtschaften nur dann moralisch, wenn es aus Achtung vor dem moralischen Gesetz geschieht – nicht, weil es mein Image verbessert oder dem Planeten hilft.

Beispiel: Ein Unternehmen reduziert CO₂ nicht aus Marketinggründen oder Kosteneffizienz, sondern weil es erkannt hat, dass es richtig ist, Verantwortung zu übernehmen – selbst wenn es Geld kostet.

Josef Pieper: Moral als Teilhabe am Guten

Pieper, als Vertreter der thomistischen Tugendethik, argumentiert ganz anders:

  • Moralisches Handeln ist gut, weil es dem Wesen des Menschen entspricht.
  • Der Mensch ist auf ein Ziel (telos) hin geschaffen – nämlich auf das Gute, das ihn erfüllt (klassisch: Glückseligkeit, eudaimonia).
  • Pflichten sind keine abstrakten Gesetze, sondern konkrete Ausdrucksformen einer objektiven Ordnung des Guten, die der Mensch durch Vernunft und Gewissen erkennt.

Für Pieper ist nachhaltiges Wirtschaften nicht nur moralisch, weil es dem Gesetz folgt, sondern weil es dem Menschen entspricht, gerecht, maßvoll, verantwortungsvoll zu handeln – also tugendhaft zu sein.

Beispiel: Ein Unternehmer setzt sich für faire Lieferketten ein, weil er erkennt: Das ist das Richtigeweil es der Gerechtigkeit dient, dem Menschen hilft, der Schöpfung entspricht und sich mit dem Guten verbindet, das ihn selbst erfüllt.

Worin stimmen beide überein?

  • Moral ist mehr als Nutzen, Markt oder Eigennutz.
  • Der Mensch ist fähig zur Einsicht, dass manches zu tun ist – auch wenn es wehtut.
  • Nachhaltigkeit ist nicht bloß Strategie, sondern moralischer Ernstfall.

Aber: Warum ist es nicht egal, welchem Ansatz man folgt?

Weil die Grundannahmen unterschiedlich sind – und das wirkt sich auf Motivation, Maßstäbe und Konsequenzen aus:

Artikelinhalte

Ein und dieselbe Handlung – z. B. auf kurzfristigen Gewinn zu verzichten, um CO₂ zu senken – kann also je nach ethischem Ansatz ganz anders verstanden, gewertet und begründet werden.

  • Wer Kant folgt, achtet auf Pflicht und Konsistenz.
  • Wer Pieper folgt, fragt nach dem Guten, das dem Menschen entspricht.

Beides kann zu Nachhaltigkeit führen – aber mit unterschiedlicher Tiefe, Motivation und Ausstrahlung.

Was meinen Sie?

  • Warum sollte ein Unternehmen nachhaltig handeln – auch wenn es wirtschaftlich nicht belohnt wird?
  • Ist es wichtiger, dass man „das Richtige“ tut – oder dass man „aus dem richtigen Grund“ handelt?
  • Was motiviert wirklich – Pflicht oder Sinn? Und ist das moralisch relevant?
  • Braucht Moral eine Idee vom Guten – oder reicht es, wenn sie rational konsistent ist?
  • Wem vertrauen wir mehr: Dem, der aus Gesetzestreue handelt, oder dem, der Gutes will?

Let´s discuss

Kategorien
Blog

Nachhaltige Markenführung mit dem Scope-Modell: So gelingt die Umsetzung

Nachhaltigkeit ist längst kein reines Kommunikationsthema mehr. Marken, die heute überzeugen wollen, müssen mehr leisten als gut gemeinte Aussagen. Sie müssen Wirkung zeigen – intern, extern, gesellschaftlich. Genau hier setzt das Scope-Modell an, das mein Kollege Prof. Dr. Jan-Dirk Kemming und ich entwickelt haben.

Wir haben dieses Modell im Jahr 2024 in der St.Gallen Marketing Review publiziert. 

St.Gallen Marketing Review

In Teil 1 dieses Blogbeitrags habe ich den strategischen Rahmen vorgestellt: Vier Scopes, mit denen Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsleistung differenzieren, strukturieren und kommunizieren können. In diesem zweiten Teil zeige ich, wie Unternehmen das Modell konkret anwenden können – mit Blick auf Mitarbeiter:innen, Kunden, Digitalisierung und gesellschaftliche Wirkung.

Mitarbeitende befähigen: Nachhaltigkeit von innen denken

Nachhaltigkeit beginnt im Unternehmen – aber sie lebt erst durch die Menschen, die sie umsetzen. Der Scope 2 des Modells fragt deshalb: Wie aktivieren wir Mitarbeitende, Partner und Netzwerke für eine glaubwürdige Nachhaltigkeitsstrategie?

Die Realität zeigt: Noch fehlt vielen Beschäftigten der ganzheitliche Blick auf Nachhaltigkeit. Zwar steigt das Interesse – doch es braucht gezielte Befähigung, konkrete Aufgaben und Entscheidungsfreiräume, damit aus Haltung auch Handlung wird.

Besonders wichtig: Auch informelle Strukturen und Graswurzelinitiativen spielen eine Rolle. Sie machen deutlich, wie sehr kulturelle und kommunikative Dynamiken den Unterschied zwischen Papierstrategie und gelebter Praxis ausmachen.

Nachhaltigkeit an der Kundenschnittstelle: Empowerment mit Augenmaß

In Scope 3 rückt die Frage in den Mittelpunkt: Wie ermöglichen wir Konsument:innen, nachhaltig zu handeln?

Das reicht von Reparaturservices über Pflegehinweise bis zu digitalen Produktpässen und virtuellen Rückgabesystemen. Entscheidend ist aber auch: Kunden sind keine „Verbündeten per Vertrag“. Nicht jede Marke wird zum Lebenspartner. Umso wichtiger ist ein Kommunikationsstil, der ermutigt statt belehrt – konkret, transparent, unterstützend.

Ein inspirierendes Beispiel: Unternehmen wie Vaude setzen auf Second-Hand-Plattformen, Repair-Angebote und umfassende Materialtransparenz. Nicht als Greenwashing – sondern als echte Einladung zum Mitmachen.

Künstliche Intelligenz & Digitalisierung als Enabler

Ein unterschätzter Hebel für nachhaltige Markenführung ist die Twin Transformation: die Verknüpfung von Nachhaltigkeit mit digitalen Technologien. Vor allem Künstliche Intelligenz (KI) kann hier zum Enabler werden:

  • Analyse von ESG-Daten in Echtzeit (Scope 1)
  • Feedbacksysteme und adaptive Kommunikation für Mitarbeiter:innen (Scope 2)
  • Interaktive Produktberatung und Reparaturhilfen für Kund:innen (Scope 3)
  • Medienresonanzanalyse und Impact-Partner-Screening (Scope 4)

Entscheidend ist: KI darf nicht ersetzen, sondern soll unterstützen, verknüpfen und verständlich machen. Richtig eingesetzt, wird sie zur Brücke zwischen Nachhaltigkeit, Markenstrategie und gelebter Praxis.

Medienwandel & neue gesellschaftliche Rollen

Scope 4 erweitert den Blick: Welche Rolle spielt die Marke im gesellschaftlichen Diskurs?

In einer fragmentierten Medienlandschaft müssen Unternehmen lernen, ihre Narrative bewusst zu gestalten – glaubwürdig, reflektiert, anschlussfähig. Das bedeutet auch: Desinformation erkennen, Verantwortung übernehmen, partnerschaftlich mit NGOs, Medien und Kulturakteuren kooperieren.

Besonders wirksam: Impact-Sponsoring, Co-Creation mit Zivilgesellschaft und authentische Corporate Publishing-Formate. Wer hier agiert, wird vom Sender zum Teil des öffentlichen Diskurses.

Was Sie ab morgen tun können

Sie möchten anfangen? Dann empfehle ich fünf erste Schritte:

  1. Wirkungslandkarte erstellen: Welche Themen spielen in Scope 1–4 aktuell eine Rolle?
  2. Interdisziplinäres Team aufstellen: Integrieren Sie Kommunikation, HR, Nachhaltigkeit, Produktentwicklung.
  3. Wirkungslücken erkennen: Wo leisten Sie viel – aber kommunizieren zu wenig?
  4. Mit einem Scope starten: Kleine Pilotprojekte mit klarer Zielsetzung helfen beim Einstieg.
  5. Externe Resonanzpartner suchen: Forschung, NGOs oder Peer-Unternehmen bieten hilfreiches Feedback.

Fazit

Scope-basierte Markenführung ist kein Modebegriff. Sie ist ein Weg, um Komplexität zu strukturieren, Wirkung sichtbar zu machen – und Marken glaubwürdig, differenziert und zukunftsfähig zu führen.

Sie möchten das Modell in Ihrem Unternehmen anwenden?
Ich begleite Sie gerne mit einem maßgeschneiderten Beratungsangebot – strategisch, operativ, kommunikativ.

Jetzt mehr erfahren – Beratung zur nachhaltigen Markenführung

Kategorien
Blog

Zwischen Effizienz und Verantwortung

KI-Serie teil 1 von 4

Die unterschätzte Macht ethischer KI-Governance

Künstliche Intelligenz gilt als einer der zentralen Treiber der digitalen Transformation. Ihre Einsatzmöglichkeiten reichen von der Prozessoptimierung über intelligente Assistenzsysteme bis hin zu weitreichender Automatisierung in Management, Produktion und Kundenservice. Unternehmen erhoffen sich von KI vor allem eines: Effizienz. Doch diese Effizienz hat eine zweite Seite – und die heißt Verantwortung. Denn mit jeder algorithmischen Entscheidung wächst auch die Frage: Wer trägt die ethische Last für das, was KI tut?

Dabei wird allzu häufig übersehen: Ethische KI ist kein Luxus, sondern Voraussetzung für Vertrauen, Sicherheit und Legitimität. Und genau darum braucht es heute mehr denn je eine professionelle, strategisch verankerte KI-Governance, die ethische Aspekte nicht als „Soft Skills“, sondern als Managementaufgabe versteht.

Wenn Effizienz blind macht: Warum Ethik in der KI kein Nebenschauplatz ist

In der Praxis erleben wir zunehmend Systeme, die auf Basis komplexer Datenanalysen Entscheidungen treffen – etwa bei Bewerbungsverfahren, Kreditvergaben oder der Risikoeinschätzung im Gesundheitswesen. Was technisch funktioniert, kann jedoch sozial problematisch sein. Algorithmen, die auf verzerrten Daten lernen, führen zu systematischen Benachteiligungen. Und Systeme, deren Entscheidungen nicht nachvollziehbar sind, untergraben die Grundlage jeder legitimen Autorität: Transparenz und Rechenschaft.

All das ist kein theoretisches Problem. Unternehmen, die sich blind auf Effizienzmetriken verlassen, laufen Gefahr, zentrale ethische Grundsätze zu verletzen – ob bewusst oder unbewusst. Doch das Risiko ist nicht nur moralisch, sondern handfest: Es reicht von Vertrauensverlusten über rechtliche Unsicherheiten bis hin zu handfesten Reputationsschäden.

Warum Governance der Schlüssel ist – und was sie leisten muss

Der Begriff „Governance“ wird oft mit Regulierung, Kontrolle oder Verwaltung assoziiert. In Wahrheit meint er etwas anderes: die Gestaltung und Steuerung komplexer Systeme unter klarer Verantwortung. Genau das ist im Kontext von KI entscheidend – denn hier geht es um mehr als nur Technik. Es geht um Fragen wie:

  • Wer trägt Verantwortung, wenn ein System Fehler macht?
  • Nach welchen Prinzipien wird entwickelt, getestet und eingesetzt?
  • Wie können Unternehmen sicherstellen, dass ihre Systeme fair, transparent und nachvollziehbar funktionieren?

Das Problem: In der Praxis fehlt es oft an konkreten Antworten. Laut einer Analyse des IEAI Accountability Framework fehlt es vielen Organisationen nicht an Willen, sondern an Werkzeugen. Ohne klare Rollenverteilungen, ethische Standards und überprüfbare Prozesse bleiben gute Absichten folgenlos.

Vom Wollen zum Können: Ethik operationalisieren

Genau hier setzt ein strukturierter Governance-Ansatz an. Statt Ethik nur zu proklamieren, braucht es Strategien, um sie umzusetzen. Das bedeutet: Verantwortlichkeiten definieren, ethische Prinzipien in den Entwicklungsprozess integrieren, transparente Entscheidungswege schaffen und kontinuierliche Überprüfung ermöglichen. Kurz: Ethik darf kein nachgelagerter Reflex sein, sondern muss von Anfang an mitgedacht werden – von der Strategie bis zum Rollout.

Ein gelungener Ansatz ist, wie im IEAI-Framework vorgeschlagen, eine risikobasierte Governance, bei der potenzielle ethische Konflikte frühzeitig erkannt und adressiert werden – abhängig vom Anwendungskontext, der Reichweite und den Auswirkungen eines Systems.

Ethik als Erfolgsfaktor – und nicht als Innovationsbremse

Viele Unternehmen fürchten, Ethik könne Innovation verlangsamen. Das Gegenteil ist der Fall. Eine klare ethische Ausrichtung:

  • stärkt das Vertrauen von Kund:innen, Partnern und Öffentlichkeit,
  • schafft Orientierung in einem sich dynamisch entwickelnden regulatorischen Umfeld,
  • und sichert langfristige Wettbewerbsfähigkeit in einer Zeit, in der Wertekommunikation und gesellschaftliche Verantwortung zentrale Bestandteile erfolgreicher Markenführung sind.

Wer Verantwortung übernimmt, stärkt nicht nur das eigene Unternehmen, sondern gestaltet aktiv die Zukunft der Digitalisierung mit – auf eine Weise, die technologische Innovation und gesellschaftliche Akzeptanz miteinander versöhnt.

KI-Governance ist mehr als eine technische Notwendigkeit. Sie ist Ausdruck unternehmerischer Verantwortung – und der Schlüssel, um das enorme Potenzial intelligenter Systeme in Einklang mit gesellschaftlichen Erwartungen zu bringen. Wer heute investiert, schafft nicht nur Sicherheit, sondern Zukunftsfähigkeit. Denn in einer Welt, in der Maschinen lernen, bleibt der Mensch verantwortlich. Dafür braucht es Klarheit, Mut – und eine Governance, die beides strukturiert ermöglicht.

Kategorien
Blog

Nachhaltige Markenführung neu denken


Warum Marken mehr leisten müssen als Kommunikation

Nachhaltigkeit ist längst kein Nice-to-have mehr. Für viele Marken ist sie zur Pflichtaufgabe geworden – und zugleich zur größten Herausforderung: Konsument:innen fordern Orientierung. Regulierungsbehörden verlangen Transparenz. Und Investor:innen und Mitarbeitende erwarten nicht weniger als ein glaubwürdiges Bekenntnis zur Zukunftsfähigkeit.

Gleichzeitig aber zeigt sich in der Praxis ein widersprüchliches Bild: Es wird viel kommuniziert – von CO₂-Reduktion, Kreislaufwirtschaft, klimaneutralen Produkten oder sozialer Verantwortung. Doch was bedeutet das wirklich? Wie belastbar sind diese Aussagen? Und woran messen wir, ob eine Marke wirklich nachhaltig ist?

Gemeinsam mit meinem Kollegen Prof. Dr. Marc Kleinknecht habe ich genau hier angesetzt. In einem Beitrag für die Marketing Review St. Gallen haben wir ein Modell entwickelt, das nachhaltige Markenführung neu strukturiert – nicht entlang von Image oder Ästhetik, sondern entlang von Wirkung. Denn das ist unser zentrales Argument: Marken, die heute nachhaltig wirken wollen, brauchen mehr als gute Geschichten. Sie brauchen ein Konzept, das Handlung, Wirkung und Kommunikation sinnvoll verbindet.

Warum herkömmliche Ansätze nicht mehr ausreichen

Drei zentrale Herausforderungen bestimmen die aktuelle Situation:

Erstens: Nachhaltigkeitsleistung wird fast ausschließlich relativ bewertet – gegenüber dem Vorjahr, gegenüber dem Wettbewerb, gegenüber der eigenen Vergangenheit. Aber was heißt das im größeren Zusammenhang? Reicht es, 5 % CO₂ einzusparen, wenn das globale Ziel 1,5 Grad heißt? Wird eine Verpackung nachhaltig, nur weil sie aus recyceltem Kunststoff besteht? Ohne Kontext wird Nachhaltigkeit zur Rhetorik. Fortschritt zur Illusion.

Zweitens: In vielen Unternehmen agieren Nachhaltigkeit und Marketing in getrennten Welten. Hier die ESG-Expert:innen, die regulatorisch, risikoorientiert und strategisch denken. Dort die Markenverantwortlichen, die emotionalisieren, differenzieren und Zielgruppen erreichen wollen. Das Ergebnis: Kommunikationsbruch. Greenwashing-Risiko. Und verschenktes Potenzial.

Drittens: Es fehlt ein strategisches Rahmenmodell, das Markenführung im Nachhaltigkeitskontext wirklich integriert denkt. Viele Organisationen wollen Nachhaltigkeit glaubwürdig kommunizieren – wissen aber nicht, wie sie diese Leistung operationalisieren, strukturieren und sichtbar machen können.

Die Lösung: Das Scope-Modell nachhaltiger Markenführung

In unserer Arbeit schlagen wir daher ein neues Modell vor: Vier Wirkungsebenen (Scopes), inspiriert von der Logik des Greenhouse Gas Protocols, übertragen auf die Welt der Marken. Das Modell strukturiert nachhaltige Markenführung entlang realer Handlungsebenen – von der internen Substanz bis zur gesellschaftlichen Wirkung.

🔹 Scope 1 – Performance:

Hier geht es um das Fundament. Was tut das Unternehmen konkret? Welche Maßnahmen werden umgesetzt? Welche Emissionen reduziert? Welche Standards erfüllt? Ohne belastbare Nachhaltigkeitsleistung ist jede Kommunikation hohl.

🔹 Scope 2 – Co-Creation:

Nachhaltige Marken entstehen nicht im Alleingang. Sie sind das Ergebnis von Zusammenarbeit – mit Mitarbeitenden, Lieferanten, NGOs oder staatlichen Akteuren. Co-Creation heißt: Nachhaltigkeit wird gemeinsam gestaltet, nicht nur behauptet.

🔹 Scope 3 – Consumer Empowerment:

Was bewirkt die Marke beim Kunden? Fördert sie bewussten Konsum? Vermittelt sie Wissen? Erleichtert sie Reparatur, Rückgabe oder Recycling? Eine nachhaltige Marke befähigt – und wird so zur Partnerin auf dem Weg zu einem anderen Konsumverhalten.

🔹 Scope 4 – Enablement:

Scope 4 ist die weiteste Ebene: die gesellschaftliche. Hier zeigt sich, ob Marken über sich hinaus wirken. Ob sie Haltung zeigen, Narrative prägen, Diskurse anstoßen, Innovationen inspirieren. Wer hier sichtbar wird, übernimmt kulturelle Verantwortung.

Wirkung macht den Unterschied

Unser Modell hilft, Markenführung neu auszurichten – nicht gegen klassische Markenlogiken, sondern ergänzend. Es baut Brücken: zwischen Nachhaltigkeitsmanagement und Kommunikation, zwischen internem Anspruch und externer Glaubwürdigkeit, zwischen Wirkung und Erzählung. Vor allem aber hilft es dabei, die Sprache der Nachhaltigkeit und die Sprache der Marke miteinander zu verbinden – verständlich, überprüfbar, anschlussfähig.

Wer Markenführung heute ernst meint, muss Wirkung mitdenken. Und wer Nachhaltigkeit ernst meint, braucht Marken, die diesen Wandel sichtbar machen können – aber eben auf Basis einer überprüfbaren Substanz.

Sind Sie bereit für den nächsten Schritt?

• Haben Sie eine klare Vorstellung davon, welchen Beitrag Ihre Marke zur nachhaltigen Entwicklung leistet?

• Können Sie glaubhaft zeigen, dass Ihre Green Claims auch regulatorisch belastbar sind?

• Wissen Ihre Mitarbeitenden, wie Nachhaltigkeit Teil der Markenidentität ist?

• Haben Sie eine Markenstrategie, die mehr leistet als Differenzierung?

📩 Wenn nicht – oder nicht mit gutem Gefühl – lade ich Sie ein, mit mir ins Gespräch zu kommen. Ich berate Unternehmen, Organisationen und Agenturen auf Basis des Scope-Modells. Ob in Workshops, Strategieprozessen oder als Sparringpartner – gemeinsam machen wir Ihre Marke zukunftsfähig.

➡️ Mehr zum Beratungsangebot finden Sie hier.

Kategorien
Blog

Breakwater Konferenz 2025

Es war mir eine besondere Freude, am 22.3.25 bei der #Breakwater Konferenz gemeinsam mit Youtuber Matthias A. Narr aka #biasedskeptic über das Thema „Orientierung in der Sinnkrise“ diskutieren zu dürfen.

Bei dem Treffen in Limburgerhof in der Pfalz gab es neben unseren Vorträgen und der Podiumsdiskussion auch sogenannte #Ästuar-Sessions.

Die Ästuar-Bewegung hat – inspiriert durch die Ideen von Denkern wie Paul Vander Klay, Jonathan Pageau, John Vervaeke ein Gesprächsformat entwickelt, das zuverlässig dafür sorgt, dass Menschen in kleinen Gruppen in offenen Gesprächen miteinander finden – sowohl über die alltäglichen als auch über die großen Fragen. Vom neusten Schwank aus der Nachbarschaft bis hin zu Themen wie der um sich greifenden Sinnkrise ist alles möglich.

Es war ein Tag voll bunter und spannender Begegnungen. Zentrales Thema meines Vortrages war die Bedeutung und Chancen des Glaubens in Zeiten der Unsicherheit und Sinnsuche. Es hat sehr viel Spaß gemacht. Matthias hat in seinem tollen Vortrag für eine letztlich atheistische und rationalistische Sicht argumentiert. So unterschiedlich sich das anhören mag – aber wir haben sehr viele gemeinsame Schnittmengen gefunden.

Ähnlich war es bei den Ästuar-Sessions, wo Menschen mit extrem verschiedenen Hintergründen und Ansichten aufeinander getroffen sind und trotzdem tiefe und offene Gespräche möglich waren – was auch Mut macht für eine Zukunft, in der wir auch als Gesellschaft wieder lernen einander zuzuhören und zu akzeptieren.

Danke auch an das tolle Orgateam rund um Matthias Bergmann , Jan-Thomas Hulha & David Stutzmann

Kategorien
Blog

Panel-Diskussion Sustainable Finance: Mensuram Bonam -Christliche Geldanlage

Aufrüstung und Kriegstüchtigkeit sind scheinbar die Wörter der Stunde. Eine große Herausforderung für Sustainable & Ethical Finance.
So lautete diese Woche der Titel einer Veranstaltung der Pax-Bank eG und der Fondazione Centesimus Annus – Pro Pontifice – der päpstlichen Stiftung zur Förderung der katholischen Soziallehre: „Müssen oder dürfen? Verbindlichkeit contra Eigenverantwortung in der kirchlichen Geldanlage“.
Meine Mit-Panelisten waren Schwester Maria Schneiderhan (Ökonomin, Kloster Sießen, Ethik-Beirat der Pax-Bank), Claire Treinen (ISS ESG-Ratingagentur) Dr. Björn Borchers (Geschäftsführer, Verida Asset Management GmbH), Dr. Ulrich Schürenkrämer (Geschäftsführer, Machlaan GmbH, Mitgl. und ehem. Koordinator für Deutschland, Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice).


Anlass der Veranstaltung war die Buchpremiere der deutschen Übersetzung von „Mensuram Bonam“, eines 2022 veröffentlichten Leitfadens der Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften für die Geldanlage im Lichte der Katholischen Soziallehre. Besonders erfreulich war es deshalb, dass S.Em. Peter Kardinal Turkson, höchstpersönlich als Kanzler der Pontifical Academy of Sciences in einer sehr sympathischen, größtenteils auf Deutsch gehaltenen, Keynote die Bedeutung von verantwortungsvoller Finanzethik verdeutlichte.

Unser Panel drehte sich um die komplexe Frage, wie kirchliche Institutionen ihre ethischen Investitionsentscheidungen wertebasiert treffen und dann auch glaubwürdig kommunizieren können – insbesondere in sensiblen Bereichen wie Rüstungsinvestitionen aber Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit.

📣 Key-Take-Aways:
✅ nachhaltige Finanzkommunikation darf nicht nur aus Verboten bestehen („Wir investieren nicht in X“), sondern vor allem Verantwortung und Alternativen aufzeigen sollte.
✅ klare Wertebasis und Kommunikation: Die Soziallehre der Kirche und Mensuram Bonam bieten eine belastbares Fundament für eine differenzierte Debatte und nachvollziehbare und stringente Entscheidungen.
✅ Narrativ der Verantwortung nutzen: Nicht nur „wozu man Nein sagt“ kommunizieren, sondern erklären, welche positiven Investitionen stattdessen getätigt werden – z. B. Krisenprävention statt Waffenexporte, erneuerbare Energien statt fossile Brennstoffe.
✅ Transparenz schafft Vertrauen: Studien zeigen, dass glaubwürdige Finanzkommunikation nur funktioniert, wenn Ausschlusskriterien klar definiert und mit positiven Impact-Strategien verbunden werden.
✅ Kirchliche Institutionen als Vorbilder: Mit ihrem globalen Einfluss können kirchliche Banken und Stiftungen ethische Standards setzen, die über den eigenen Bereich hinaus wirken.

🙏 Ein herzliches Dankeschön an die Pax-Bank: Klaus Schraudner, Jutta Hinrichs, Denise Manz sowie Kardinal Turkson, Klaus Gabriel für die Moderation sowie alle Mit-Diskutanten für diese inspirierende Debatte!

Hashtag#SustainableFinance Hashtag#Ethik Hashtag#Nachhaltigkeit Hashtag#PaxBank Hashtag#ImpactInvesting Hashtag#CatholicSocialTeaching