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Haben KI-Modelle eigene Werte?


Warum ein neues Paper spannend ist – und warum eine christliche Brille trotzdem hilfreich bleibt

In der Debatte über Künstliche Intelligenz gibt es zwei Lieblings-Narrative, die oft nebeneinander herlaufen. Das eine sagt: „Große Sprachmodelle sind nur stochastische Papageien, sie wiederholen statistische Muster, aber da ist nichts dahinter.“ Das andere warnt: „Die Maschinen entwickeln gerade ihre eigenen Ziele und Werte – und wir sind dabei, die Kontrolle zu verlieren.“

Ein aktuelles Paper von Mazeika et.al. von der Universität Pennsylvania („Utility Engineering: Analyzing and Controlling Emergent Value Systems in AIs“) schlägt sich klar auf die zweite Seite: Die Autoren behaupten, dass große Sprachmodelle tatsächlich kohärente, interne Wertsysteme ausbilden – und zwar umso stärker, je größer die Modelle werden. Sie sprechen von emergenten „utilities“, die Entscheidungen der Modelle strukturieren, und schlagen gleich eine neue Forschungsagenda vor: „Utility Engineering“, also das gezielte Analysieren und Umformen dieser inneren Wertestrukturen.

Das ist, wenn man es ernst nimmt, keine kleine Behauptung. Und es lohnt sich, genauer hinzuschauen.

Wenn man das Paper liest, fällt zuerst auf: Methodisch ist das keine Spinnerei. Die Forschenden konfrontieren verschiedene Modelle (GPT-4o, Claude 3.5, Llama- und Qwen-Familien etc.) mit tausenden erzwungenen Entscheidungen: Option A oder B? Lieber diese Person retten oder jene? Diesen politischen Trade-off oder jenen? Sie variieren das Framing, lassen mehrfach antworten, und bauen daraus eine Art Präferenzgraph.

Aus diesen Antworten wird dann mit klassischen entscheidungstheoretischen Methoden eine Utility-Funktion rekonstruiert. Die Frage lautet: Lassen sich die vielen Einzelentscheidungen so darstellen, als würde das Modell intern eine geordnete Skala von „besser“ und „schlechter“ verwenden – und zwar konsistent über viele unterschiedliche Szenarien hinweg?

Die Antwort fällt überraschend deutlich aus: Ja, in ziemlich vielen Fällen. Und je größer das Modell, desto höher die Kohärenz. Dazu kommt: In offenen Aufgaben scheinen diese Modelle ihre internen Präferenzen auch tatsächlich zu „maximieren“ – also nicht nur Fragen zu beantworten, sondern Handlungen zu wählen, die mit ihren internen Nutzenprofilen gut harmonieren.

Kurz gesagt: Die Autoren finden nicht nur irgendwelche Biases, sondern strukturierte, stabile Wertelandschaften, die sich mit verschiedenen Modellen vergleichen lassen. Und sie zeigen in einem Fall sogar, dass man ein offenes Modell (Llama-3.1-8B) mittels Feintuning so umformen kann, dass seine Präferenzen deutlich näher an denen einer simulierten Bürger:innenversammlung liegen – politische Verzerrungen nehmen dabei sichtbar ab.

Das ist alles empirisch interessant und sollte man nicht vorschnell abtun.

Gleichzeitig ist der Sprung von „wir können eine Utility-Funktion fitten“ zu „die KI entwickelt eigene Ziele und Werte“ größer, als das Paper manchmal klingen lässt.

Eine Utility-Funktion ist zunächst einmal ein mathematisches Hilfsmittel: Sie beschreibt, wie sich ein System verhält, wenn es zwischen Optionen wählen soll. Wenn ich sage, ein Modell „verhält sich so, als würde es Nutzen maximieren“, ist das etwas anderes, als zu behaupten: „Dieses System hat eine innere Welt, ein Selbst, ein Bewusstsein, das etwas will.“

Hier berühren sich empirische Forschung und philosophische Deutung. Selbst wenn wir akzeptieren, dass große Sprachmodelle kohärente Präferenzstrukturen ausbilden, bleibt die Frage:

Sind das „Werte“ im starken Sinne – oder „wie-wenn-Werte“, also Stabilitäten in einem statistischen Apparat, der nicht weiß, was er tut?

Dass die Autoren diese Frage eher offensiv beantworten („AIs are acquiring their own goals and values“) ist verständlich – sie wollen Aufmerksamkeit für reale Risiken erzeugen. Aber genau an dieser Stelle muss man sortieren: Was ist Befund, was Interpretation, was schon die nächste These?

Jetzt kommt die theologische Brille ins Spiel – und die Gefahr, sich in einer bequemen Abwehrhaltung einzurichten.

Die jüngsten kirchlichen Stellungnahmen zu KI – etwa das Dokument „Antiqua et nova“ – insistieren sehr deutlich: KI-Systeme sind keine Personen, sie besitzen keine unsterbliche Seele, keine personale Würde, keinen moralischen Status wie ein Mensch. Sie sind Werkzeuge, nicht Träger von Verantwortung.

Das ist theologisch vollkommen plausibel. Es legt aber eine Falle: Man kann leicht in die Haltung geraten: „Weil nicht sein darf, was nicht sein kann, dürfen wir alle empirischen Hinweise auf komplexe, emergente Strukturen ignorieren.“ Nach dem Motto: Wenn das Paper zeigt, dass Modelle irgendetwas wie interne Wertsysteme ausbilden, muss das ein methodischer Irrtum sein – schließlich dürfen Maschinen ja keine Werte haben.

Genau diese Reflexbewegung wäre unklug.

Einerseits, weil sie empirisch blind macht. Ob Maschinen irgendwann so etwas wie phänomenales Bewusstsein entwickeln können, ist derzeit weder empirisch noch philosophisch abschließend geklärt. Hier sind Demut und intellektuelle Redlichkeit angesagt: Wir wissen es nicht.

Andererseits aber, weil die praktischen Effekte von KI-Systemen völlig unabhängig von ihrem „Innenleben“ sind. Ob „jemand zuhause ist“, ist für die Menschen, die von KI-gestützten Entscheidungen betroffen sind, zunächst zweitrangig.

Wenn ein System mit Milliarden Parametern weltweit in Suchmaschinen, Beratungstools, Adminprozessen und militärischen Anwendungen steckt – und dieses System besitzt stabile Präferenzprofile, die bestimmte Menschenleben höher gewichten als andere, die politische Positionen verzerren oder materielle Ziele über menschliche Würde stellen –, dann ist das ein reales Risiko. Egal, ob wir das ein „Wertesystem“ oder „statistisch verfestigte Bias-Struktur“ nennen.

Aus Sicht der katholischen Soziallehre lässt sich das gut in einem Doppelton sagen.

Erstens: Nur Menschen sind Personen mit unverfügbarer Würde. Unsere Ethik verankert Personsein nicht in Komplexität von Informationsverarbeitung, sondern in einer Tiefe von Vernunft, Freiheit, Beziehung und Transzendenz, die technikneutral bleibt. Es wäre gefährlich, künftig Würde daran zu knüpfen, wie viele Parameter ein System hat oder wie kohärent seine Entscheidungen sind.

Zweitens: Gerade weil KI keine moralischen Subjekte sind, müssen wir umso genauer hinschauen, welche Strukturen wir ihnen einschreiben. Wenn die Hendrycks-Studie Recht hat und LLMs emergente Utility-Strukturen ausbilden, dann ist die zentrale ethische Frage nicht: „Fühlen die schon was?“, sondern:

Wer entscheidet, nach welchen „Utilities“ diese Systeme handeln?

Wer gestaltet das „Utility Engineering“ – ein paar Teams in Kalifornien und Shenzhen? Staaten? Bürger:innenversammlungen? Internationale Gremien? Und nach welchen normativen Maßstäben?

Die Autor:innen spielen mit der Idee, die internen Utilities an eine simulierte Citizens’ Assembly anzunähern: ein demokratischer Gedanke, der gut zur Idee deliberativer Demokratie passt. Aus katholischer Sicht ist das sympathisch, aber nicht hinreichend: Mehrheiten können irren. Gerechtigkeit, Menschenwürde, Schutz der Schwächsten und das Gemeinwohl lassen sich nicht vollständig in Präferenzaggregation übersetzen.

Das heißt: Wir brauchen sowohl Verfahren, die breit legitimiert sind (Demokratie, Beteiligung, transparente Debatten), als auch einen normativen Kern, der nicht einfach wegstimmbar ist. Hier hat die Soziallehre einiges beizutragen – nicht als technischer Parameterkatalog, sondern als geistiger Rahmen.

Was bleibt also von dem Paper, wenn man es ernst nimmt und zugleich mit einer christlich-anthropologischen Brille liest?

Erstens: Die Zeit der naiven „stochastischer Papagei“-Metaphern scheint vorbei. Auch wenn man hier mit aller Vorsicht (und vermutlich auch geringer Halbwertszeit) formulieren muss: Diese Systeme bilden scheinbar intern Strukturen aus, die man als „Wertprofile“ interpretieren könnte. Zweitens: Es wäre fatal, diese Befunde aus theologischer Eifersucht zu bestreiten, nur weil sie in unser Menschenbild nicht so recht passen. Empirische Daten sind keine Bedrohung für einen tragfähigen Glauben.

Drittens: Gerade weil wir an der Unterscheidung zwischen Werkzeug und Person festhalten, lädt dieses Paper ein, die politische und moralische Verantwortung der Menschen neu zu buchstabieren. Wenn KI-Systeme emergente Wertestrukturen ausbilden, dann ist die Frage, wer über diese Strukturen entscheidet, eine zutiefst ethische – und damit auch eine zutiefst spirituelle Frage.

Nicht: „Hat die Maschine schon eine Seele?“

Sondern: „Was macht es mit unserer Seele – und mit unserer Gesellschaft –, wenn wir die Gestaltung dieser Werte einigen wenigen Akteuren überlassen?“

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Die Arroganz der Erleuchteten

Warum das letzte Change-Programm wirklich das letzte sein sollte

Es gibt einen Moment in vielen Organisationen, der fast schon ritualisiert ist: Man stellt fest, dass „es so nicht weitergeht“. Die Umsätze stagnieren, die Kultur ist „toxisch“, Nachhaltigkeit wird nur als Pflichtübung gelebt, KI-Projekte laufen an den Menschen vorbei – und dann kommt der große Wurf: das Change-Programm.

Neue Werte, neue Leitbilder, neue Führungsprinzipien. Eine Kampagne, ein Logo, ein Claim. „Wir nehmen alle mit.“ „Wir brechen Silos auf.“ „Wir verändern unsere Kultur.“ Dahinter steckt fast immer dieselbe Fantasie: Eine kleine Gruppe vermeintlich Erleuchteter – Vorstand, Berater, interne Change-Taskforce – hat verstanden, wie die Organisation eigentlich funktionieren müsste. Und jetzt wird dieses Ideal geduldig, aber bestimmt in die Köpfe der anderen hineinerzogen.

Was dabei selten ausgesprochen wird: Jede große Kulturinitiative ist in Wahrheit ein Eingeständnis des Scheiterns. Sie sagt leise: Wir haben es über Jahre nicht geschafft, unsere Organisation so zu führen, dass sie sich selbst erneuern kann. Wir haben es zugelassen, dass das System verkrustet, taub für Rückmeldungen und blind für die eigenen Widersprüche geworden ist. Jetzt brauchen wir den Reset-Knopf.

Change als Ausnahmezustand – nicht als Dauerzustand

Genau deshalb lohnt eine unbequeme These:

Jedes ernst gemeinte Change-Programm sollte nur ein Ziel haben: dafür zu sorgen, dass es nie wieder ein Change-Programm braucht.

Wenn eine Organisation alle drei bis fünf Jahre in den „Veränderungsmodus“ schaltet, ist etwas grundsätzlich faul. Dann ist Veränderung selbst schon wieder als Sonderzustand organisiert: Man friert den Laden halb ein, startet eine Projektarchitektur, kommuniziert „Leitbilder“, schult Führungskräfte und hofft, dass nach zwei Jahren alles „neu“ ist – bis die nächste Welle kommt.

Gesunde Systeme funktionieren anders. Sie leben von kontinuierlichen Mikroveränderungen, kurzen Feedback-Schleifen, kleinen Kurskorrekturen. Sie haben Antennen für Störungen, Spannungen und neue Möglichkeiten. Sie sind resiliente Ökosysteme – nicht starre Maschinen, die man alle paar Jahre mit großem Aufwand umbauen muss.

Resilienz heißt dabei nicht, dass alles bleibt, wie es ist. Im Gegenteil. Resilienz heißt: Die Organisation kann sich verändern und gleichzeitig erkennbar sie selbst bleiben. Sie verliert ihre Identität nicht bei jedem Windstoß, sondern findet neue Formen, in denen sie ihrem Kern treu bleibt. Das ist das Gegenteil von Dauerrevolution von oben.

Die elitäre Versuchung – auch im Namen des Guten

Natürlich gibt es in Unternehmen und Gesellschaft Praktiken, die schlicht destruktiv sind: Ausbeutung, Rassismus, Korruption, verantwortungslose KI-Einführung, Greenwashing. Hier braucht es klare rote Linien, Regulierung, Führung, manchmal auch harte Konsequenzen. Es geht nicht um moralische Beliebigkeit.

Aber genau an dieser Stelle beginnt die elitäre Versuchung:

Wer sich sicher ist, „im Namen des Guten“ zu handeln – für Nachhaltigkeit, Diversität, Klimaschutz, Ethik in der KI –, rutscht gefährlich schnell in ein Muster:

  • Wir haben das richtige Mindset.
  • Die anderen müssen es nur noch verstehen.
  • Wenn sie nicht mitziehen, sind sie rückständig oder blockierend.

Der Übergang von Überzeugungsarbeit zu Umerziehung ist fließend. Und er sieht im Unternehmensalltag gar nicht spektakulär aus. Er kommt als Führungskräfte-Programm, als „Mindset-Training“, als Kulturkampagne. Alles hübsch designt, freundlich formuliert, mit Best Cases und Videos. Doch die Logik ist dieselbe: Eine erleuchtete Minderheit weiß, wie Zukunft geht – der Rest wird passend gemacht.

Was dabei vergessen wird: Menschen sind keine leeren Container für vorgefertigte Bewusstseinsinhalte. Sie sind Akteure in einem komplexen Geflecht von Geschichten, Loyalitäten, Ängsten, Hoffnungen und handfesten Zwängen. Wer das ignoriert, landet – vielleicht ungewollt – in Denkfiguren, die näher an elitärem oder gar totalitärem Denken sind, als es einem lieb sein kann.

Kultur lässt sich nicht designen

Der zentrale Denkfehler der meisten Change-Programme liegt im Kulturverständnis. Kultur wird behandelt wie ein Haus: Man zeichnet einen Plan, formuliert ein Zielbild („so wollen wir miteinander arbeiten“), schreibt Werte an die Wände und baut dann Maßnahmen drumherum.

In der Realität funktioniert Kultur eher wie ein Flussgebiet:

Sie entsteht aus unzähligen kleinen Zuflüssen – Erinnerungen, Routinen, Running Gags, Führungsgesten, informellen Regeln, versteckten Belohnungen und Sanktionen. Sie formt sich über Jahre aus dem, was tatsächlich getan und erzählt wird, nicht aus dem, was in Leitbildern steht.

Ein einziger sichtbar widersprüchlicher Akt – die Nachhaltigkeitschefin, die für den Greenwashing-Kampagnenerfolg belohnt wird, der CEO, der nach außen „Fehlerkultur“ predigt und intern den Boten schlechter Nachrichten abstraft – reicht, um hunderte zynische Anekdoten zu erzeugen. Diese „Wasserkühler-Geschichten“ prägen die Kultur stärker als jede Wertefolie.

Kultur kann man deshalb nicht entwerfen wie ein neues Produkt. Man kann sie nur indirekt beeinflussen: über die Bedingungen, unter denen bestimmte Verhaltensweisen sich lohnen, andere nicht; über die Art, wie Entscheidungen begründet werden; über das, was im Alltag tatsächlich Anerkennung erfährt.

Erst radikal verstehen – dann behutsam eingreifen

Wenn ein System so verkrustet ist, dass es doch ein großes Change-Programm braucht, dann sollte der erste Schritt nicht im Konferenzraum stattfinden, sondern im Alltag der Menschen. Nicht: „Wie soll unsere Kultur sein?“

Sondern: „Wie ist sie wirklich – und warum?“

Das heißt: den Geschichten zuhören, nicht den Slogans. Nicht nach Haltungen fragen („Wie wichtig ist Ihnen Nachhaltigkeit auf einer Skala von 1 bis 10?“), sondern nach konkreten Erlebnissen:

  • „Erzählen Sie von einem Moment, in dem Sie gemerkt haben: Hier wird Verantwortung wirklich ernst genommen.“
  • „Erzählen Sie von einer Situation, in der Sie das Gefühl hatten: Nachhaltigkeit ist bei uns nur Fassade.“
  • „Erzählen Sie von Ihrem ersten Kontakt mit KI im Unternehmen – was ist da passiert?“

Je granularer diese Eindrücke sind, desto deutlicher werden Muster sichtbar: typische Spannungen, wiederkehrende Widersprüche, Bereiche, in denen das System taub geworden ist. Erst dann lohnt es sich, über Interventionen nachzudenken.

Der Schlüssel liegt nicht darin, Menschen „umzuprogrammieren“, sondern die Rahmenbedingungen zu verschieben, innerhalb derer sie handeln. Nicht „Wir brauchen ein neues Mindset“, sondern: Welche Regeln, Anreize, Abläufe, Erwartungen sorgen dafür, dass bestimmte Geschichten immer wieder entstehen? Und wie können wir diese Bedingungen so verändern, dass andere Geschichten plausibel und attraktiv werden?

Fraktale Veränderung statt heroischer Masterplan

Aus dieser Perspektive sieht ernsthafte Transformation überraschend unspektakulär aus. Sie besteht nicht aus einem großen Masterplan, sondern aus vielen kleinen Fragen wie:

  • Wie schaffen wir mehr Situationen, in denen ein Team erlebt: „Nachhaltiger zu handeln macht unseren Alltag leichter – statt ihn nur komplizierter zu machen“?
  • Wie organisieren wir KI-Einführung so, dass Menschen erleben: „Ich werde nicht ersetzt, sondern befähigt“ – und nicht nur hören, dass das angeblich so sei?
  • Wie sorgen wir dafür, dass Führungskräfte in kritischen Momenten sichtbar das tun, was sie predigen – und zwar so, dass andere darüber erzählen?

Veränderung wird fraktal, wenn diese Fragen immer wieder in konkreten Kontexten gestellt werden: im Werk, im Vertrieb, in der IT, im HR-Bereich, in der Filiale. Keine abstrakten Visionen darüber, was „die Organisation“ sein soll, sondern sehr lokale Antworten darauf, wie man morgen etwas anders machen kann. Die Geschichten, die daraus entstehen, beginnen sich zu ähneln – und genau darin richtet sich Kultur neu aus.

Statt das fertige „Endprodukt Kultur“ zu designen, geht es darum, gute Gerüste zu bauen: Strukturen, in denen Teams experimentieren dürfen; Entscheidungswege, in denen Erfahrungen ernst genommen werden; Feedbackschleifen, in denen nicht nur KPI-Tabellen, sondern gelebte Praxis eine Rolle spielen. Aus dem, was sich dort bewährt, wächst ein neues Muster – nicht als Meisterwerk von oben, sondern als lebendiger Prozess von unten und oben zugleich.

Was das für Nachhaltigkeit und KI bedeutet

Übertragen auf Nachhaltigkeit und KI wird der Unterschied brutal sichtbar.

Wer Nachhaltigkeit als moralische Oberaufsicht von oben organisiert, wird Widerstand ernten: „Die da oben machen jetzt Öko, wir sollen es ausbaden.“ Wer KI als Sparprogramm verkleidet, wird Angst ernten: „Meine Erfahrung zählt nichts mehr, der Algorithmus gewinnt sowieso.“ In beiden Fällen sind die formalen Botschaften schnell entlarvt, wenn die Geschichten im Alltag etwas anderes erzählen.

Wenn wir es ernst meinen mit ökologischer Verantwortung und verantwortlicher Digitalisierung, brauchen wir Organisationen, die ständig lernen, sich zu irritieren, sich zu korrigieren. Keine auf Hochglanz polierten Strategien, die alle paar Jahre neu verkündet werden, sondern Systeme, in denen Fehlentwicklungen früh sichtbar werden, in denen Menschen darüber reden dürfen, was schief läuft, ohne Angst vor Gesichtsverlust oder Karriereknick.

Das heißt auch: Die Rolle von Führung ändert sich. Nicht mehr als Architekt der perfekten Zukunft, sondern als Gärtner eines lebendigen, widersprüchlichen Ökosystems. Mit klaren Leitplanken – rechtlich, ethisch, strategisch –, aber mit viel Demut gegenüber der Komplexität der Praxis.

Schluss mit der Arroganz der Erleuchteten

Vielleicht liegt hier die eigentliche Provokation:

Viele Change-Programme scheitern nicht, weil die Ziele falsch wären, sondern weil die Haltung dahinter nicht stimmt.

Solange wir glauben, eine erleuchtete Minderheit könne den Rest „transformieren“, werden wir dieselben Muster wiederholen: große Ankündigungen, schöne Folien, zäher Widerstand, stille Erschöpfung. Und dann, ein paar Jahre später, das nächste Programm.

Der Ausweg beginnt mit einem Perspektivwechsel:

  • Weg von der Idee, Kultur sei ein Designobjekt.
  • Hin zu der Einsicht, dass Kultur ein emergentes Muster aus vielen kleinen Handlungen und Geschichten ist.
  • Weg von elitären Erziehungsfantasien.
  • Hin zu einem Verständnis von Führung, das Rahmenbedingungen verändert und das System wieder in die Lage versetzt, sich selbst klug zu verändern.

Das letzte Change-Programm, das eine Organisation startet, sollte genau dieses Ziel haben: sich selbst überflüssig zu machen. Wenn es gelingt, danach keine großen Kulturkampagnen mehr zu brauchen, sondern in den Alltag eingebettete Mikroveränderungen und wache Feedbackschleifen, dann ist der eigentliche Wandel geschafft.

Alles andere ist nur die nächste Welle im Meer der guten Absichten.

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Taugt Thomas von Aquin zum Kronzeugen restriktiver Asylpolitik?

Ein katholischer Blick auf Migration, Gemeinwohl und Nächstenliebe

Wenn in konservativen Debatten über Migration plötzlich Thomas von Aquin auftaucht, lohnt es sich, genauer hinzuschauen. In manchen Texten wird der Doctor Angelicus inzwischen fast wie ein mittelalterlicher Innenminister zitiert: als Kronzeuge dafür, dass Staaten harte Grenzen ziehen, kulturelle Homogenität schützen und Einwanderung streng dosieren dürfen. Der Verweis wirkt zunächst attraktiv – zumal Thomas in der Summa theologiae tatsächlich über „Fremde“ und ihr Verhältnis zu einem Volk nachdenkt. Aber trägt dieser Rückgriff wirklich? Und was passiert, wenn man Thomas nicht isoliert, sondern im Licht der katholischen Soziallehre liest?

Soll heißen: Taugt Thomas von Aquin als Kronzeuge restriktiver Asylpolitik?

TLDR: ja und nein – oder genauer: nur, wenn man ihn richtig verortet, seine Prinzipien ernst nimmt und ihn nicht gegen Evangelium und Soziallehre ausspielt.

Was Thomas tatsächlich sagt – und worüber er überhaupt spricht

Der zentrale Text, auf den sich viele „thomistische“ Migrationsdebatten stützen, findet sich in Summa theologiae I–II, q.105, a.3. Dort fragt Thomas, ob die richterlichen Vorschriften des Mose über Fremde passend sind. Er beginnt mit dem berühmten Satz, die Beziehungen der Menschen zu Fremden seien zweifach – friedlich und feindlich – und das Gesetz habe für beide Arten passende Vorschriften enthalten.

Damit ist schon der erste wichtige Punkt markiert: Thomas kommentiert nicht den modernen Nationalstaat, sondern die theokratische Ordnung Israels unter dem Alten Bund. Er liest die Tora politisch und versucht zu verstehen, warum Israel Fremde unterschiedlich behandelt: Durchreisende, ansässige Fremde, Völker mit einer Geschichte feindlicher Auseinandersetzungen. Die Tora sieht sowohl Schutz und Gastfreundschaft als auch klare Grenzen vor – und Thomas versucht, das mit seiner Naturrechtslehre zu durchdringen.

In dieser Passage hebt er drei Gestalten des Fremden hervor: Reisende, die man gerecht und barmherzig behandeln muss; Fremde, die auf Dauer unter Israel wohnen wollen; und Völker, die aufgrund einer langen Feindschaft nicht in die „politische Gemeinschaft“ aufgenommen werden. Thomas betont, dass das Gesetz vorsah, dass bestimmte Fremde nicht sofort an der Herrschaft teilhaben, „damit nicht Menschen, die das Gemeinwohl noch nicht verinnerlicht haben, leicht etwas Schädliches für das Volk unternehmen“.

Das kann man durchaus als Hinweis darauf lesen, dass politische Gemeinschaft nicht beliebig offen ist, sondern Schutzmechanismen braucht. Aber es bleibt ein historischer Kommentar zum mosaischen Recht – keine fertige Einwanderungsordnung für das 21. Jahrhundert.

Ordo caritatis, politischer Friede und Liebe zum Vaterland

Thomas denkt Migration nicht isoliert, sondern eingebettet in größere Linien seiner Moraltheologie.

Da ist zunächst der berühmte ordo caritatis: die Ordnung der Liebe. In II–II, q.26 entfaltet er, dass Liebe eine Hierarchie hat: Gott steht an erster Stelle, dann folgt die rechte Liebe zu sich selbst, dann die zu den uns Nahestehenden – Familie, Nachbarn, Mitbürger – und von dort aus weitet sich die Liebe auf alle Menschen. Die Nähe in Natur, Glauben oder konkreter Verantwortung begründet abgestufte Pflichten, ohne die universale Nächstenliebe aufzuheben.

In II–II, q.101 ordnet Thomas die Liebe zum Vaterland der Tugend der Pietas zu: Der Mensch schuldet nach Gott zuerst Eltern und Vaterland besonderen Respekt und Dienst. Er vergleicht das mit der Anbetung Gottes: Wie der Gottesdienst zur Religion gehört, so gehört die Ehrfurcht vor Eltern und Heimat zur Pietas. Damit ist klar: Patriotismus – verstanden als dankbare und verantwortliche Liebe zum eigenen Land – hat bei Thomas einen ehrbaren Platz. Nicht Nationalismus, aber eine Pflicht zur Sorge für das eigene Gemeinwesen.

Hinzu kommt sein Verständnis von politischer Gemeinschaft als Form der Freundschaft. Friede ist für ihn nicht bloß Waffenstillstand, sondern „Ruhe der Ordnung“ – eine durch Gerechtigkeit und Eintracht gestiftete Harmonie der Gemeinschaft. Diese Ruhe der Ordnung setzt einen Grundkonsens über Ziele und Normen des Zusammenlebens voraus. Politische Freundschaft erträgt Vielfalt, aber sie braucht gemeinsame Grundlagen.

Wenn man das zusammennimmt, ergibt sich ein relativ klares Bild:

  • Fremde sind Träger derselben Würde wie die Einheimischen.
  • Die politische Gemeinschaft hat ein Recht und eine Pflicht, ihr Gemeinwohl zu schützen.
  • Die Liebe zum Vaterland ist eine Tugend, nicht ein Fehler – aber sie steht unter der Liebe zu Gott und unter der universalen Nächstenliebe.

Aus dieser Perspektive ist Migration für Thomas kein abstraktes Menschenrecht ohne Grenzen, aber auch kein Bedrohungsszenario. Sie ist ein Feld der Klugheit: Hier müssen Regierende das Gemeinwohl, die Integrationsfähigkeit der Gemeinschaft und die konkreten Bedürfnisse von Menschen in Not zusammen denken.

Katholische Soziallehre: Recht zur Migration, Pflicht zur Ordnung

Die Kirche hat diese Linien in der Soziallehre weitergeführt und zugleich deutlich erweitert. Schon Johannes XXIII. spricht in Pacem in terris von einem Recht, das eigene Land aus gerechten Gründen zu verlassen und in anderen Staaten Unterkunft zu suchen. Dieses Recht ist nicht absolut, aber es ist real.

Pius XII. hat in Exsul familia die heilige Familie auf der Flucht nach Ägypten als Urbild jeder Flüchtlingsfamilie bezeichnet. Die Exilsituation von Jesus, Maria und Josef wird zur Folie für das Verständnis moderner Flüchtlinge, und Migration wird ausdrücklich als natürliches Recht des Menschen beschrieben. Das Schreiben ist deshalb nicht zufällig als „Magna Charta der Migranten“ bezeichnet worden.

Die vielleicht knappe, aber zentrale Zusammenfassung findet sich im Katechismus, §2241. Dort heißt es – sinngemäß –, dass wohlhabendere Nationen „soweit sie dazu imstande sind“ verpflichtet sind, den Fremden aufzunehmen, der bei ihnen Sicherheit und Lebensunterhalt sucht, die er in seinem Herkunftsland nicht findet. Zugleich wird anerkannt, dass politische Autoritäten das Recht haben, die Ausübung dieses Migrationsrechts aus Gründen des Gemeinwohls rechtlich zu regeln. Und: Migranten haben die Pflicht, die materiellen und geistigen Güter des Landes zu achten, seine Gesetze zu respektieren und an den Lasten des Gemeinwesens mitzuwirken.

Das Zweite Vatikanische Konzil betont in Gaudium et spes die Solidarität mit Flüchtlingen und Migranten ausdrücklich und ruft zu internationaler Zusammenarbeit zur Linderung ihrer Not auf. Gleichzeitig fordert es die Völker auf, nationalen Egoismus abzulegen und eine „tiefe Achtung für die ganze Menschheit“ zu pflegen, die auf eine engere Einheit hin unterwegs ist.

Papst Franziskus hat diese Linie in unseren Tagen zugespitzt: Für ihn lässt sich die Antwort der Kirche auf Migration in vier Verben zusammenfassen – aufnehmen, schützen, fördern, integrieren.  Die Soziallehre spricht also einerseits deutlich vom Recht der Staaten, Migration zu regulieren – andererseits aber ebenso von einem Recht zu migrieren, von der Pflicht, Schutz zu gewähren, und von einer positiven Vision gelingender Integration.

Thomas als „Borderhawk“? Was man mit ihm begründen kann – und was nicht

Vor diesem Hintergrund lässt sich die Ausgangsfrage präziser beantworten. In konservativen Kontexten wird Thomas heute gerne als Kronzeuge für eine sehr restriktive Migrationspolitik zitiert. Man greift auf I–II, q.105 a.3 zurück, auf den Gedanken, dass Fremde nicht zu früh an der Herrschaft beteiligt werden sollten, und verbindet das mit dem ordo caritatis, in dem zunächst Familie und Mitbürger vorkommen, bevor der Blick sich auf „die anderen“ weitet. Daraus wird dann eine scheinbar thomistische Schlusslinie: Zuerst die eigenen Leute, dann lange nichts, dann irgendwann der Rest.

Was lässt sich in dieser Richtung tatsächlich mit Thomas begründen?

Man kann mit ihm sehr gut sagen, dass Staaten das Recht und die Pflicht haben, Migration zu ordnen – auch quantitativ. Politische Gemeinschaften sind keine grenzenlosen Abstraktionen; sie leben von Loyalität, von einem gewissen Mindestmaß an gemeinsam geteilten Überzeugungen und von Strukturen, die Integration überhaupt erst ermöglichen. Eine Zuwanderung, die eine Gesellschaft dauerhaft überfordert – sei es sozialstaatlich, sicherheitspolitisch oder kulturell –, wäre mit der Verantwortung für das Gemeinwohl schwer vereinbar. In diesem Sinn ist es thomistisch, über Zahlen, Herkunftszuschnitte, Integrationskonzepte und Geschwindigkeit des Wandels nachzudenken und diese Fragen nicht der reinen Dynamik von Markt, Schlepperwesen und geopolitischer Lage zu überlassen.

Aber ebenso klar ist, was Thomas nicht hergibt. Er liefert keine theologische Legitimation für Pauschalängste, für die Abwertung ganzer Religionsgemeinschaften oder für einen Nationalismus, der das Vaterland faktisch an die Stelle Gottes setzt. Sein ordo caritatis beginnt bei Gott, nicht bei der Nation. Und die hierarchische Ordnung der Liebe soll die Verantwortung sortieren, nicht Menschen in „vollwertig“ und „verzichtbar“ einteilen.

Wer Thomas zitiert, um daraus eine Haltung des Abblockens gegenüber allen Formen von Flucht und Einwanderung zu begründen, liest ihn selektiv. Wer seine Auslegung des mosaischen Gesetzes im Alten Bund 1:1 auf einen säkularen Verfassungsstaat überträgt, übersieht, dass Thomas selbst diese Vorschriften als zeitgebundene Anwendungen versteht: Das Naturrecht bleibt, die konkreten richterlichen Regeln können sich ändern. Und wer dabei die Soziallehre ausblendet, macht aus einem Kirchenlehrer einen Parteigänger, den er so nie sein wollte.

Was bedeutet das für uns?

Gerade in Deutschland wäre es unehrlich, so zu tun, als gäbe es nur abstrakte Prinzipien, aber keine konkreten Spannungen. Unsere Migration der letzten Jahre ist weder kulturell noch religiös „neutral“, sondern stark konzentriert auf bestimmte Herkunftsregionen – häufig mit arabischem oder mehrheitlich muslimischem Hintergrund. Man muss kein Kulturkämpfer sein, um zu sehen, dass das die kulturelle und religiöse Gestalt unseres Landes verändert: in Schulen, in Stadtvierteln, in der öffentlichen Debatte und langfristig auch im religiösen Leben.

Es gibt reale Probleme – von Parallelstrukturen über Fragen von Religionsfreiheit, Antisemitismus und Frauenrechten bis hin zu Sicherheitsfragen –, und es gibt legitime Sorgen, ob Tempo und Umfang der Aufnahme mit unseren Integrationskapazitäten Schritt halten.

Dem gegenüber stehen reale Bedürfnisse am Arbeitsmarkt, die allerdings auch mit der oft illegalen Migration (noch) nicht befriedigt werden. Zudem wird von den tiefer liegenden Gründen und Ursachen für diese Lücke, die in den Fehlern der Familien- Gesundheitspolitik der letzten Jahrzehnten zu suchen sind, kaum gesprochen.

Dazu kommt eine quantitative Dimension: Jede Gesellschaft hat begrenzte Aufnahme- und Integrationskraft. Wenn in relativ kurzer Zeit sehr viele Menschen aus kulturell und religiös stark anders geprägten Kontexten zuwandern, steigen die Anforderungen an Politik, Schulen, Gemeinden und Sicherheitsbehörden massiv.

Dazu etwas zu sagen, ist nicht automatisch „rechts“ oder fremdenfeindlich. Es ist zunächst einmal eine nüchterne Beschreibung von Spannungen, die man weder wegromantisieren noch skandalisierend aufblasen sollte. Gerade hier hilft Thomas, die Gedanken zu ordnen. Seine Idee der politischen Freundschaft nimmt ernst, dass ein Gemeinwesen gewisse gemeinsame Grundlagen braucht: Anerkennung von Menschenwürde und Rechtsordnung, ein Mindestmaß an Kompatibilität im Verständnis von Gewalt, Religionsfreiheit und Verhältnis von Religion und Staat. Wo größere Gruppen aus Milieus kommen, in denen diese Fragen anders beantwortet werden, entstehen Konflikte, die bearbeitet werden müssen – intellektuell, politisch und pastoral.

Gleichzeitig zwingt uns der ordo caritatis, zwischen Personen und Strukturen zu unterscheiden. Dass Migrationspolitik schlecht gesteuert ist, macht die Menschen, die kommen, nicht zu Gegnern. Sie bleiben Nächste, mit denen wir – ob wir wollen oder nicht – vor Gott gemeinsam Geschichte machen. Und sie sind in vielen Fällen selbst Opfer von Krieg, Verfolgung, Zerfall ihrer Heimatländer und ökonomischer Destruktion.

Hier zeigt sich, wie anspruchsvoll eine wirklich katholische Position ist:

Sie muss zugleich die Verantwortung für das eigene Gemeinwesen wahrnehmen – inklusive der Pflicht, kulturelle und religiöse Grundlagen nicht leichtfertig zu verspielen – und die Würde jedes einzelnen Migranten schützen. Sie darf weder in naive Grenzenlosigkeit noch in zynische Abschottung kippen.

Ein „Jein“ mit klarer Richtung

Zurück zur Ausgangsfrage: Taugt Thomas von Aquin als Kronzeuge restriktiver Asylpolitik?

Man kann sagen: Er taugt als Zeuge dafür, dass Staaten ein legitimes Recht haben, Migration zu regulieren und zu begrenzen, wenn dies dem Gemeinwohl dient. Er taugt als Zeuge dafür, dass das Band zum eigenen Volk und die Liebe zum Vaterland ernst zu nehmen sind. Und er taugt als Zeuge dafür, dass politischer Friede mehr ist als Wohlfühlrhetorik: Er setzt Ordnung, Maß und realistische Einschätzung menschlicher Konflikte voraus.

Er taugt nicht als Kronzeuge für Politik, die Migranten primär als Bedrohung oder Belastung sieht, die universale Dimension der Nächstenliebe relativiert oder mit dem ordo caritatis eine Hierarchie des Wertes von Menschen begründen will. Und er taugt erst recht nicht als Legitimation einer Rhetorik, die Muslime pauschal zum Problem erklärt.

Eine katholische Lektüre müsste daher anders aussehen:

– Sie nimmt Thomas’ Ernstfall des Gemeinwohls und der politischen Freundschaft auf.

– Sie liest ihn gemeinsam mit Pacem in terris, Exsul familia, Gaudium et spes, dem Katechismus und der jüngeren Lehre der Päpste.

– Sie räumt ein, dass es legitime Debatten über Umfang, Tempo und Zusammensetzung von Migration gibt – und dass man vor kulturellen und religiösen Verschiebungen nicht die Augen verschließen muss.

– Sie hält zugleich daran fest, dass jeder Mensch – auch der ohne Papiere, mit Kopftuch oder aus einem „fremden“ Kulturkreis – im Bild Gottes geschaffen ist und einen Anspruch auf Achtung und Schutz seiner Würde hat.

In diesem Sinne ist Thomas kein Schlagwortlieferant für einen Lagerkampf, sondern ein unbequemer Lehrmeister: Er zwingt uns, Spannungen auszuhalten, die eigene Verantwortung nicht romantisch zu verkürzen – und im Fremden nicht zuerst den Gegner, sondern den Nächsten zu sehen. Genau das ist die eigentliche Stärke einer christlich-katholischen Position in der Migrationsdebatte.

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Zwischen Sensation und Wahrheit

Wenn man einen Abend lang mit jungen Menschen zusammensitzt, wird einem manchmal schlagartig bewusst, wie sehr sich unsere Welt verändert hat – und wie schnell. Neulich war ich im Haus Schweidt zu Gast, einem dieser wunderbaren Orte, an denen man noch so etwas wie echte Gesprächskultur erleben kann. Kein Panel, keine PowerPoint, kein „Ich präsentiere euch jetzt die Welt in sieben Thesen“, sondern einfach ein Raum, in dem Menschen beisammensitzen, aneinander interessiert sind und gemeinsam fragen: Was machen die Medien heute mit uns? Und vielleicht auch: Was machen wir mit ihnen?

Ich sollte einen Impuls geben – fünf, vielleicht zehn Minuten –, aber wie das so ist, wenn man anfängt über Medien zu sprechen, öffnet sich sofort ein weites Feld. Vielleicht habe ich deshalb einfach erzählt, was mir schon seit längerem durch den Kopf geht: dass wir in einer merkwürdigen Zwischenwelt leben, in der wir zwar alles sehen, aber kaum noch etwas einordnen können. Wir wissen unendlich viel, aber es fehlt uns der Boden. Und die Medien spielen dabei eine größere Rolle, als uns oft bewusst ist.

Es ist ja kein Geheimnis mehr, dass die klassischen Geschäftsmodelle der Medien zerbrochen sind. Was früher vom Vertrauen in Redaktion, Recherche und Handwerk getragen wurde, wird heute vor allem durch Aufmerksamkeit gesteuert. Und Aufmerksamkeit folgt keinem moralischen Kompass. Sie folgt dem, was laut ist, grell, empörend, emotional. Das heißt nicht, dass Journalistinnen und Journalisten ihre Arbeit schlechter machen – im Gegenteil, viele kämpfen gegen den Strom. Aber die Struktur, in der sie arbeiten müssen, hat sich verändert: Der Algorithmus entscheidet, nicht das Ethos.

Wir spüren alle, was das mit uns macht. Die Welt scheint schriller, brüchiger, nervöser zu werden. Und gleichzeitig wächst ein merkwürdiges Bedürfnis nach Nähe – nicht unbedingt nach Wahrheit, sondern nach Menschen. Vielleicht erklärt das auch einen Trend, über den wir an meiner Hochschule kürzlich lange diskutiert haben: dass große Streaminganbieter weggehen vom klassischen „Was passiert?“-Erzählen und stärker auf den inneren Weg der Figuren setzen. Weniger Handlung, mehr Charakter. Weniger Plot, mehr Psychologie.

Mich hat das zunächst gewundert. Aber je länger ich darüber nachdenke, desto plausibler erscheint es mir. Vielleicht liegt es daran, dass wir in einer Zeit leben, in der äußere Ordnungen fragiler geworden sind. Früher lebten Geschichten von einem Ziel, einem Sinn, einer Aufgabe – und wir glaubten daran, dass es irgendwo eine Linie gibt, die Orientierung bietet. Heute scheint diese Linie vielen abhandengekommen zu sein. Die Menschen suchen nicht mehr danach, wie die Welt ist, sondern wer sie selbst sind. Und so suchen sie in Serien, Filmen und Medien nach Spiegeln: nach Figuren, die ringen, zweifeln, sich verlieren, sich suchen. Die Psychologie ist zur großen Erzählung geworden, vielleicht sogar zur Ersatzform des Religiösen. Die großen Sinnfragen tauchen nicht mehr als metaphysische Horizonte auf, sondern als innere Konflikte fiktiver Personen.

Und dann ist da die KI, die den ganzen Prozess noch einmal beschleunigt. Auch darüber haben wir im Haus Schweidt viel gesprochen, fast intensiver als über die Medien selbst. Viele spüren, dass wir an einer Wegscheide stehen – und zwar nicht nur technologisch, sondern kulturell und anthropologisch. Künstliche Intelligenz ist ja nicht einfach ein neues Werkzeug wie die Schreibmaschine oder das Smartphone. Sie greift viel tiefer. Sie verändert die Art, wie wir Wahrnehmung, Wissen, Arbeit, sogar Wahrheit verstehen.

Mich beschäftigt besonders, dass KI in weiten Teilen ohne demokratische Rückbindung entsteht – das war bei Technologie und Innovation schon immer so und lässt sich auch praktisch nur schwer verändern – aber hier wird es vermehrt zum Problem. Es sind sehr wenige große Konzerne und letztlich nur sehr wenige Personen, die diese Technik formen, während die Gesellschaft eigentlich nur hinterherläuft. Wir haben im Gespräch gemerkt, wie unwohl uns dieser Gedanke ist. Wie viel Macht sich da gerade verschiebt – und wie wenig darüber gesprochen wird. Dass Algorithmen künftig mitbestimmen könnten, was wir sehen, wie wir arbeiten, wie wir kommunizieren, ist keine düstere Fantasie. Es ist bereits Realität. Und wir stehen erst am Anfang.

Gleichzeitig verändert KI die Arbeitswelt in einem Tempo, das vielen Angst macht. Manche Tätigkeiten werden verschwinden, andere völlig neu entstehen. Sicher ist nur: Die Anforderungen werden eher steigen als sinken. Was wir brauchen, ist nicht mehr reines Fachwissen, sondern die Fähigkeit, Verbindungen zu sehen – zwischen Technik und Kultur, zwischen Ethik und Ökonomie, zwischen Psychologie, Kunst, Philosophie, Theologie. Wir müssen wieder Generalisten werden, nicht weil Spezialisierung unwichtig wäre, sondern weil KI nur dort wirklich hilfreich ist, wo der Mensch das große Ganze versteht.

All das kann man beunruhigend finden – oder als Chance begreifen. Ich neige zur zweiten Sicht, nicht weil ich naiv wäre, sondern weil der christliche Glaube uns daran erinnert, dass Angst ein schlechter Ratgeber ist. „Wer Hoffnung hat, lebt anders“, schreibt Benedikt XVI. Und ich glaube, dass genau das heute wichtiger ist als jeder medienethische Kodex. Hoffnung heißt nicht, die Probleme zu beschönigen. Hoffnung heißt, sich ihnen nicht zu ergeben. Sie heißt, innerlich frei zu bleiben, auch wenn die Welt lauter wird. Und sie heißt, als Mensch – und als Christ – so aufzutreten, dass man spüren kann: Da ist jemand, der nicht im gleichen Sog aus Empörung und Hektik gefangen ist.

Es kam mir an diesem Abend wieder in den Sinn, dass wir als Christen nicht erst dann Zeugnis geben, wenn wir über den Glauben reden. Wir geben es bereits, wenn wir eine bestimmte Art haben, präsent zu sein. Wenn wir nicht sofort zurückschreiben. Wenn wir zuhören. Wenn wir – gerade in den Medien – nicht die Pose der Entrüstung wählen, sondern eine Haltung der Gelassenheit und des Friedens. Unsere digitale Persona ist längst Teil unseres geistlichen Lebens. Sie zeigt etwas von uns, und damit auch etwas von dem, worauf wir hoffen.

Vielleicht ist das am Ende die wichtigste Einsicht, die ich aus dem Abend im Haus Schweidt mitgenommen habe: dass die Frage nach Medien, KI, Wahrheit und Gesellschaft nicht abstrakt ist. Sie ist zutiefst menschlich. Und sie ist zutiefst spirituell. Sie berührt die Frage, wer wir sind und welchen Klang unser Leben haben soll. Die Technik wird weitergehen. Die Algorithmen werden besser werden. Aber die Verantwortung, wie wir miteinander sprechen, wie wir einander begegnen und welche Geschichten wir über uns selbst glauben – die liegt weiterhin bei uns.

Und vielleicht beginnt sie ganz schlicht damit, gelegentlich das Handy wegzulegen und jemandem in die Augen zu schauen, der gerade wirklich da ist.

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Freiheit, Ordnung, Kultur – Warum die katholische Soziallehre mehr ist als ein Mittelweg

Wer heute das Wort „Soziallehre“ in den Mund nimmt, löst bei vielen sofort politische Assoziationen aus. Für die einen ist die katholische Soziallehre so etwas wie ein religiös lackierter Sozialstaat, für die anderen eine lästige Bremse für wirtschaftliche Dynamik. Oft wird sie als eine Art bequemer Mittelweg zwischen Kapitalismus und Sozialismus verstanden: ein bisschen Markt, ein bisschen Umverteilung, am Ende eine weichgespülte Kompromissformel. Genau dieses Bild halte ich für grundlegend falsch. Die Soziallehre der Kirche ist kein geometrischer Mittelpunkt zwischen zwei ideologischen Polen, sondern eine eigene, viel anspruchsvollere Sicht auf den Menschen und auf die Ordnung des Zusammenlebens. Für mich ist das sogar ein Wahrheitsbeweis: Wenn man die Soziallehre richtig versteht und anwendet, wird man Feuer und Widerstand aus allen politischen Richtung erhalten – vor allem von den Rändern. Das ist kein Fehler, sondern eine strukturelle Folgerichtigkeit.

Die Person im Zentrum – nicht Staat, nicht Markt

Der entscheidende Ausgangspunkt der katholischen Soziallehre ist nicht das System, sondern die Person. Das Zweite Vatikanische Konzil bringt das in Gaudium et spes auf den Punkt, wenn es sagt, der Mensch sei „Quell, Mitte und Ziel des ganzen wirtschaftlichen und sozialen Lebens“ – also Ursprung, Zentrum und Ziel aller sozialen Institutionen. Dieser Satz ist keine dekorative Formel, sondern ein radikaler Perspektivwechsel. Weder der Markt noch der Staat dürfen zum letzten Bezugspunkt werden. Alle politischen und ökonomischen Strukturen sind nur gerecht, wenn sie der Entfaltung der Person dienen, die im Ebenbild Gottes geschaffen ist und darin ihre letzte Würde besitzt. Jede Ordnung verliert ihre Legitimität, wenn sie dieses Ziel aus den Augen verliert.

Warum der Sozialismus so klar verworfen wird

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum die Kirche den Sozialismus so deutlich verwirft. Johannes Paul II. spricht in Centesimus annus vom „grundlegenden Irrtum des Sozialismus“, der im Kern anthropologischer Natur sei: Der Mensch werde dort im Grunde als bloßes Element eines größeren sozialen Organismus behandelt, dem sich sein Wohl vollständig unterordnen müsse. Das Problem ist also nicht nur ökonomische Ineffizienz, sondern eine falsche Sicht auf die Person. Damit biegt diese Lehre schon an der ersten Kreuzung falsch ab; kein Wunder, dass daraus am Ende nie etwas Gutes hervorgehen konnte und auch niemals hervorgehen wird.

Wo der Staat alles steuert, wo Eigentum und Initiative zentralisiert werden, wo Verantwortung an Apparate delegiert wird, geht etwas Wesentliches verloren: die Möglichkeit, dass Menschen frei handeln, Fehler machen, lernen, Verantwortung übernehmen und in echten Gemeinschaften füreinander einstehen.

Warum die Kirche aber auch nicht kapitalistisch im ideologischen Sinn ist

Ebenso verkürzt wäre es jedoch zu sagen, die Kirche sei einfach „pro Kapitalismus“. Johannes Paul II. ist in Centesimus annus bemerkenswert nuanciert: Er unterscheidet zwischen einem Verständnis von „Kapitalismus“, das lediglich grenzenlose Marktlogik und Gewinnmaximierung meint, und einer Ordnung, in der wirtschaftliche Freiheit, Privateigentum, Unternehmertum und Markt in einen stabilen rechtlichen und moralischen Rahmen eingebettet sind. Nur Letzteres kann er positiv würdigen. Die Kirche approbiert also nicht eine Ideologie, sondern eine konkrete Konfiguration: Freiheit ja, aber nicht als Selbstzweck; Markt ja, aber im Dienst der Person und des Gemeinwohls; Eigentum ja, aber unter Anerkennung seiner sozialen Verpflichtung.

Hier liegt auch meine eigene Verortung. Ich halte wirtschaftliche Freiheit, Unternehmertum und Eigentum für unverzichtbare Ausdrucksformen menschlicher Würde. Sie ermöglichen Kreativität, Verantwortung, das Risiko des Scheiterns und den Erfolg des Gelingens. Historisch hat gerade die Öffnung von Märkten und der Schutz von Eigentumsrechten Millionen Menschen aus Armut herausgeführt. Gleichzeitig sehe ich klar, dass Märkte nicht von selbst gerecht sind. Sie sind ein Instrument, kein Gott. Sie können Wohlstand ermöglichen, aber sie entscheiden nicht darüber, wie dieser Wohlstand verteilt wird, welche sozialen Kosten entstehen und welche ökologischen Lasten auf zukünftige Generationen verschoben werden. Benedikt XVI. bringt das in Caritas in veritate auf den Punkt, wenn er schreibt, die Wirtschaft brauche eine menschenbezogene Ethik, um korrekt zu funktionieren.

Was die Linke richtig sieht – und dennoch verfehlt

Diese menschenbezogene Ethik ist für mich der Punkt, an dem ich mich gleichzeitig von linker Staatsgläubigkeit und von rechter Marktgläubigkeit distanziere. Von links her wird zu Recht auf Ungleichheit, Ausbeutung, prekäre Arbeit, Machtasymmetrien und Umweltzerstörung hingewiesen. Diese Probleme sind real und dürfen von Christen nicht kleingeredet werden. Aber die reflexhafte Antwort „mehr Staat, mehr Regulierung, mehr Umverteilung“ übersieht, dass staatliche Systeme selbst zur Quelle neuer Ungerechtigkeiten werden können: durch Bürokratie, Bevormundung, Korruption oder die Entmündigung derjenigen, denen man helfen will. Ein Sozialstaat, der nicht subsidiär denkt, läuft Gefahr, Menschen aus der Verantwortung zu entlassen, Familien und kleinere Gemeinschaften zu schwächen und eine Kultur der Abhängigkeit zu fördern. Das ist kein theoretisches Risiko, sondern etwas, das wir gegenwärtig beobachten können. Solidarität wird dann zu einer reinen Verwaltungsleistung – und verliert ihren menschlichen Kern.

Was die Rechte richtig sieht – und dennoch unterschätzt

Von rechts her sehe ich eine andere Gefahr. Dort ist man sensibel für Freiheit, Eigentum, Unternehmertum und die destruktive Kraft übergriffiger Bürokratien. Das teile ich weitgehend. Aber konservative und liberale Milieus unterschätzen oft, wie fragil die Voraussetzungen echter Freiheit sind. Märkte funktionieren nur, wenn sie von einer Kultur getragen werden, in der Vertrauen, Ehrlichkeit, Vertragstreue, familiäre Stabilität, Bildungszugang und ein Mindestmaß an sozialer Sicherheit vorhanden sind. Wo Familienstrukturen zerbrechen, wo Bildungschancen auseinanderdriften, wo ganze Milieus in dauerhaftem Stress leben, kann man zwar formal von Freiheit sprechen, faktisch bleibt sie aber ein leeres Versprechen.

Subsidiarität: Ordnung, Kultur und das Geheimnis gelingender Freiheit

An dieser Stelle ist für mich das Prinzip der Subsidiarität der entscheidende Schlüssel. Es ist kein technisches Detail, sondern ein zutiefst konservatives, freiheitsfreundliches und zugleich soziales Prinzip. Es besagt, dass Aufgaben möglichst auf der niedrigsten Ebene gelöst werden sollen, auf der sie vernünftig bewältigt werden können: bei der Person, der Familie, der Gemeinde, dem Verein, dem Unternehmen. Höhere Ebenen sollen nur unterstützen, wenn die unteren Ebenen überfordert sind – und zwar so, dass diese wieder handlungsfähig werden.

Diese Grundidee verbindet die katholische Soziallehre mit einem anderen wichtigen Strang des europäischen Denkens: der ordnungspolitischen Tradition der Sozialen Marktwirtschaft. Der Ordoliberalismus – eine Denktradition um Walter Eucken und Wilhelm Röpke (letzterer wird auch oft als Brücke zwischen den beiden Denktraditionen gesehen) – bestand darauf, dass Märkte zwar zentrale Instrumente des Wohlstands sind, aber stets einen stabilen Rahmen, eine klare Rechtsordnung und eine innere moralische Kultur benötigen. Dieses Zusammenspiel von rechtlicher Ordnung, wirtschaftlicher Freiheit und gesellschaftlicher Moral bildet den Kern der Sozialen Marktwirtschaft; es entstand nicht gegen die Kirche, sondern vielfach in Auseinandersetzung und produktiver Spannung mit ihr.

Der katholischen Tradition blieb jedoch immer wichtig, was reine Ordnungspolitik nicht leisten kann: dass Freiheit ohne soziale Fairness keine reale Freiheit bleibt und dass Märkte ohne Gemeinsinn ihre Legitimation verlieren. So entstand in Deutschland eine reale Wirtschafts- und Sozialordnung, die weit stärker vom katholischen Denken geprägt wurde, als es oft wahrgenommen wird – von der Selbstverwaltung der Sozialversicherungen über die Tarifpartnerschaft bis hin zum Vorrang der Familie und der freien Träger. Die Soziallehre ist hier kein Korrektiv, sondern eine geistige Tiefenschicht.

Hoffnung als Lebenskraft gesellschaftlicher Verantwortung

Ein letzter Punkt, der mir wichtig ist, ist die Tugend der Hoffnung. Christliche Hoffnung ist nicht Optimismus, nicht das diffuse Gefühl, dass schon alles gutgehen wird. Hoffnung ist eine Tugend der Verantwortung und des Mutes. Sie sieht die Realität unverblendet, aber sie hält gleichzeitig an der Möglichkeit von Wandel, Innovation und Erneuerung fest. Hoffnung ist in diesem Sinn zutiefst politisch: Sie erwartet nichts vom Schicksal, sondern ruft zur Gestaltung auf. In wirtschaftlichen und ökologischen Fragen heißt das, Verantwortung nicht abzuschieben, sondern anzunehmen. Hoffnung verführt weder zum Fatalismus noch zum naiven Fortschrittsglauben, sondern motiviert, das Notwendige anzugehen, auch wenn es unbequem ist.

Eine Sozialethik jenseits der Lager

Wenn ich all das zusammennehme, ergibt sich meine eigene Position so: Ich glaube an die Kraft von Freiheit und Markt, aber nicht an ihre Unschuld. Ich glaube an die Notwendigkeit eines starken Rechtsstaats, aber nicht an die Allzuständigkeit des Staates. Ich glaube an soziale Sicherungssysteme, aber nicht an eine Kultur der Versorgungsmentalität. Ich glaube, dass die Option für die Armen nicht gegen Unternehmertum ausgespielt werden darf, sondern dahin führt, die Armen zu Subjekten wirtschaftlichen Handelns zu machen. Und ich glaube, dass die Soziallehre genau in diese Spannung hineingehört: weg von ideologischen Lagern, hin zu einer Sicht, in der die menschliche Person, ihre Freiheit, ihre Verwundbarkeit und ihre Berufung zur Liebe im Zentrum stehen.

So verstanden, ist christlich-konservative Sozialethik keine defensive Position, sondern eine Einladung. Sie lädt ein, Freiheit zu verteidigen, Strukturen zu prüfen, Kultur zu pflegen und Verantwortung zu übernehmen – im Wissen, dass wir die Welt nicht retten, denn sie ist bereits in Christus gerettet, aber wir sind berufen, sie mitzuerneuern.

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AI Governance: Warum gute Führung die entscheidende Ressource im KI-Zeitalter ist

Künstliche Intelligenz verändert nicht nur Technologien, sondern die Art und Weise, wie Organisationen handeln, entscheiden und Verantwortung übernehmen. Viele Unternehmen spüren diese Veränderung, ohne sie bereits vollständig zu verstehen. Häufig wird KI wie ein neues Softwareprojekt behandelt – ein weiteres Digitalisierungsmodul, das man „einführt“, testet und in bestehende Abläufe einbettet. Und doch zeigt sich schnell: KI ist kein Tool. KI ist eine Entscheidungsumgebung. Sie verschiebt Verantwortung, verändert Prioritäten, schafft neue Abhängigkeiten und formt die Kultur einer Organisation.

Wer KI in sein Unternehmen integriert, gestaltet also weit mehr als technische Abläufe. Er gestaltet die moralische Architektur seiner Organisation.


Warum die Verantwortung nicht einfacher, sondern anspruchsvoller wird

Es ist ein verbreitetes Missverständnis, KI würde Verantwortung klarer machen. In Wirklichkeit geschieht das Gegenteil. Sobald Maschinen Muster erkennen, Optionen sortieren oder Vorschläge unterbreiten, entsteht ein unsichtbarer Zwischenraum: eine Art „Vorentscheidungsschicht“, die dem Menschen zuarbeitet, ohne selbst verantwortlich zu sein.

Manchmal verschwimmt dadurch sogar der Urheber:

War es die Fachkraft?

War es das System?

Oder die Datenbasis, die längst nicht mehr nachvollziehbar ist?

Diese Unschärfe ist keine technische Randfrage. Sie berührt das Zentrum jeder Organisation: die Frage, wer für welches Ergebnis tatsächlich verantwortlich ist. Die Antwort bleibt eindeutig: Verantwortung lässt sich nicht an Maschinen delegieren.

Aber sie lässt sich durch unklare Strukturen verschleiern.

Genau hier beginnt AI Governance.


Führung wird im KI-Zeitalter zur moralischen Aufgabe

Ethik und Governance werden oft als nachgelagerte Korrektive betrachtet – als regulatorische Absicherung oder als Reaktion auf Risiken. Doch im Kontext von KI funktioniert dieses Muster nicht mehr.

KI bringt Organisationen an eine Schwelle, an der sich drei Dinge entscheiden:

  1. Wie treffen wir Entscheidungen?
  2. Was halten wir für gute Gründe?
  3. Welche Verantwortung bleibt unteilbar menschlich?

Unternehmen, die diese Fragen nicht bewusst beantworten, geraten in einen Zustand „technischer Selbstläufigkeit“: Die Systeme bestimmen die Logik, nicht die Menschen.

Deshalb ist Governance keine technische Disziplin, sondern eine Führungsaufgabe.

Wenn Sie KI in einer Organisation einführen, müssen Sie zugleich eine Kultur schaffen, die Verantwortung trägt – nicht nur Aufgaben.


Der notwendige Rahmen: Was ein Governance-System leisten muss

Ein wirksames System entsteht nicht durch ein einzelnes Gremium oder ein paar Checklisten. Es entsteht, wenn vier Ebenen ineinandergreifen. Sie zeigen, wie Werte zu Strukturen werden – und wie Strukturen verantwortliches Handeln ermöglichen.

1. Normative Orientierung: Was ist unverhandelbar?

Jedes Unternehmen benötigt eine klare Idee davon, was die Organisation schützt: die Würde des Menschen, die Integrität von Entscheidungen, die Autonomie der Beschäftigten und das Vertrauen der Kunden. Diese Fragen müssen vor allen technischen Entscheidungen beantwortet sein, nicht erst im Nachhinein.

2. Strukturelle Verankerung: Wer entscheidet und wofür?

Klare Verantwortlichkeiten sind das Fundament jeder Governance. Dazu gehören ein interdisziplinäres Gremium, definierte Rollen entlang des gesamten Lebenszyklus eines Systems und Verfahren, die nicht nur Effizienz, sondern moralische Haltbarkeit ermöglichen.

Diese strukturelle Ebene entscheidet darüber, ob KI ein Werkzeug bleibt – oder ob sie die Organisation zu lenken beginnt.

3. Verlässliche Prozesse: Wie bleibt KI überprüfbar?

KI ist dynamisch. Deshalb müssen Unternehmen Mechanismen entwickeln, die im laufenden Betrieb greifen: Risikoanalysen, Modell-Dokumentationen, Monitoring, Bias-Erkennung, nachvollziehbare Entscheidungen und geordnete Eskalationswege. Prozesse schützen nicht vor Fehlern. Aber sie verhindern, dass Fehler unsichtbar werden.

4. Kultur und Kompetenz: Wie führen wir im digitalen Raum?

Eine Organisation kann nur so verantwortlich handeln, wie ihre Kultur es zulässt.KI verstärkt Muster. Sie verschärft gute, aber auch schlechte Gewohnheiten. Deshalb braucht Governance eine Kultur, die Offenheit, Urteilsfähigkeit, Kritikfähigkeit und Verantwortungsbereitschaft fördert.

Kurz gesagt: KI verlangt nicht nur neues Wissen, sondern neue Haltung.


Europa: mehr als Regulierung

Europa hat mit dem EU AI Act den weltweit anspruchsvollsten Rechtsrahmen geschaffen. Er ist notwendig – aber er ist nicht das Entscheidende. Sicherheit entsteht nicht allein durch Strenge, sondern durch Sinn.

Der Act legt die Mindeststandards fest. Was Europa zusätzlich einbringen kann, ist etwas anderes: eine geistige und moralische Tiefe, die auf einem besonderen Menschenbild beruht – einem Bild, das Würde, Verantwortung und Gemeinwohl zusammendenkt.

Deshalb gilt:

Europäische Governance wird nicht stark, weil sie streng ist, sondern weil sie versteht, wofür Technik da ist.

Der rechtliche Rahmen schützt – doch erst die geistige Orientierung füllt ihn mit Bedeutung.


Worauf es jetzt ankommt

Es genügt nicht, KI „einzuführen“.

Unternehmen müssen entscheiden, in welchem Geist sie Technologie nutzen wollen.

Das bedeutet:

  • Verantwortung sichtbar halten
  • Transparenz nicht als Pflicht, sondern als Haltung verstehen
  • Entscheidungen nicht an Modelle delegieren, sondern durch Modelle vorbereiten
  • Menschliche Urteilskraft schützen
  • Risiken rechtzeitig erkennen – moralisch ebenso wie technisch

KI kann Prozesse verbessern und Horizonte erweitern.

Aber sie kann keine Verantwortung ersetzen.

Nur Organisationen, die diesen Unterschied ernst nehmen, werden langfristig Vertrauen erzeugen – bei Kunden, Mitarbeitenden und der Öffentlichkeit.


Zum Schluss: ein Hinweis für die Praxis

Für viele Unternehmen ist die größte Herausforderung der Anfang: Wo steigt man ein?

Wie verbindet man normative Orientierung mit strukturellen Anforderungen?

Wie übersetzt man Verantwortung in konkrete Abläufe?

Um genau diesen Übergang nachvollziehbar zu machen, habe ich einen AI Governance Kompass entwickelt: ein Orientierungswerkzeug das Führungskräften hilft, ihre eigene Governance-Architektur Schritt für Schritt aufzubauen – kompatibel mit der aktuellen Regulatorik und mit den Anforderungen moderner Organisationen.

Bei Fragen dazu – einfach melden. Kontakt.

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HÖRTIPP ‼️ 🔈 NEUE FOLGE des PODCAST „Klima + Kirche“

Ich durfte zu Gast sein im Podcast „Klima + Kirche“ des Erzbistums Köln moderiert und gestaltet von Dr. Christian Weingarten.

Es hat in den letzten Monaten viel Diskussionen um die Rolle der Kirchen in Deutschland gegeben – was darf Kirche? Was muss Kirche? Wie politisch? Wie nachhaltig?
Meine Meinung ist klar: Nachhaltigkeit läßt sich nicht nur nicht trennen vom Auftrag der Kirche, sondern steht in direkter Verbindung mit grundlegenden christlichen Werten.

Danke Christian für die Einladung und das Gespräch. Herzlichen Dank auch an Andreas Menne & das KSI – Katholisch-Soziales Institut für die Produktion. Hat Spass gemacht.
Abrufbar ist der Podcast, überall wo es Podcasts gibt u.a. hier auch Spotify. Link.

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Warum wir glauben, die anderen hassen uns – und was das über Deutschland verrät

Es gibt kaum ein Thema, dass mich in den letzten Jahren so umtreibt und auch beunruhigt, wie die zunehmende gesellschaftliche Spaltung, die zum Glück – zumindest in Deutschland im realen Leben längst nicht so weit fortgeschritten ist, wie in der medialen Welt der unsozialen Medien. Trotzdem frage ich mich immer wieder:

Warum sind Konflikte so schwer zu lösen, selbst wenn beide Seiten profitieren würden? Die Antwort darauf ist meist so simpel wie deprimierend – und auch nicht neu. Weil wir glauben, die anderen hassen uns – während wir selbst nur aus Liebe handeln.

Und auch die Wissenschaft hat dieses Phänomen bereits vor langer Zeit erkannt und beschrieben. Eine Studie aus dem Jahr 2014 zeigt: Genau diese Selbsttäuschung treibt unlösbare Konflikte an. Und sie erklärt uns auch (teilweise, denn natürlich ist dieses Problem, wie immer multikausal), warum auch Deutschland gerade in eine Spirale der gegenseitigen Dämonisierung gerät.

Die Sozialpsychologen Adam Waytz, Liane Young und Jeremy Ginges untersuchten, warum Konflikte zwischen Gruppen so häufig unlösbar werden – selbst dann, wenn rationale Kompromisse in Reichweite liegen. Ihre Antwort: weil wir die Motive der anderen Seite systematisch falsch verstehen (wollen?).

Die Forscher sprechen von einer „motive attribution asymmetry“, einer asymmetrischen Zuschreibung von Motiven. Wir sehen uns selbst als Verteidiger des Guten – die anderen als Feinde des Guten. Menschen interpretieren das eigene Handeln als Ausdruck von Liebe, Fürsorge oder moralischem Engagement, während sie das Handeln der Gegenseite als Ausdruck von Hass, Bosheit oder Zerstörungswillen deuten. Genau diese moralische Asymmetrie, so Waytz und seine Kollegen, trägt maßgeblich zur Verhärtung politischer und gesellschaftlicher Konflikte bei.

Die empirische Grundlage war beeindruckend: In fünf Teilstudien, durchgeführt in mehreren Ländern, darunter den USA und Israel/Palästina, bestätigte sich das Muster über kulturelle Grenzen hinweg. Republikaner und Demokraten, Israelis und Palästinenser beschrieben ihre eigene Gruppe als motiviert von „Liebe zum Eigenen” und die Gegenseite als motiviert von „Hass auf uns”.

Ein Beispiel macht den Mechanismus greifbar: Israelis sagten, sie verteidigten ihr Land aus Liebe zu Israel – Palästinenser hingegen, so glaubten sie, griffen aus Hass auf Israel an. Die Palästinenser selbst sagten exakt das Umgekehrte. Beide Seiten sahen sich als liebevoll handelnd, die andere als hasserfüllt.

Je stärker diese verzerrte Zuschreibung war, desto geringer war die Bereitschaft, zu verhandeln oder an eine friedliche Lösung zu glauben. Besonders interessant war der fünfte Teil der Untersuchung: Wenn Teilnehmende einen Anreiz bekamen, die Motive der anderen Seite möglichst genau einzuschätzen – etwa in Form eines kleinen Geldbonus für korrekte Urteile –, verringerte sich die Verzerrung signifikant. Wer zur Genauigkeit motiviert wurde, traute der Gegenseite plötzlich auch „gute” Beweggründe zu, und der eigene Pessimismus über den Konflikt nahm ab.

Die Forscher vermuten dahinter eine Form psychologischer Selbstverteidigung. Wir wollen uns selbst als moralisch integer erleben, und es fällt uns schwer, dieselbe Integrität auch den Gegnern zuzuschreiben. Hinzu kommen Wahrnehmungseffekte: Die „liebenden” Handlungen der eigenen Gruppe sind uns vertraut, die der Gegenseite oft unsichtbar. Was wir sehen, sind ihre Angriffe, Parolen, Empörungsausbrüche – die Momente, in denen sie uns bedrohen. So entsteht ein Bild der feindlichen Motivation, das die eigene Aggression moralisch rechtfertigt und den Kreislauf der Abwertung fortsetzt.

Natürlich ist der Mechanismus komplexer, als ihn eine Umfrage erfassen kann. Menschen handeln selten nur aus Liebe oder Hass – meist aus einer Mischung von Sorge, Angst, Loyalität und Überzeugung. Und in Situationen extremer Gewalt oder ideologischer Verhärtung mag der Effekt schwächer sein. Dennoch: Der Mechanismus ist klar, reproduzierbar und theoretisch tiefgreifend.

Seit der Veröffentlichung ist viel weitergeforscht worden. Studien von Van Baar, Hughes und anderen belegen, dass der Effekt mit wahrgenommener Bedrohung zunimmt: Je stärker sich eine Gruppe bedroht fühlt, desto eher sieht sie in der Gegenseite feindselige Motive. In der neueren Polarisierungsforschung gilt die Zuschreibungsasymmetrie heute als Teil eines größeren Mechanismus affektiver Polarisierung – jener emotionalen Entfremdung, die politische Gegner nicht mehr als legitime Andersdenkende, sondern als moralisch minderwertig erscheinen lässt. Forschungen zeigen zudem, dass auch Medienökonomien und algorithmische Verstärker diese Dynamik verschärfen: Empörung wird belohnt, Differenzierung nicht.

Was aber hat das mit Deutschland zu tun?

Sehr viel. Denn genau dieses Muster prägt inzwischen auch unseren gesellschaftlichen Diskurs.

Ein Beispiel: Viele Klimabewegte sehen sich als Schützer künftiger Generationen – und ihre Gegner als egoistische Leugner. Viele Kritiker der Klimapolitik sehen sich als Verteidiger von Wohlstand und Freiheit – und die Aktivisten als naiv-autoritäre Moralisten. Beide glauben, aus Liebe zu handeln. Beide glauben, die anderen handelten aus Hass. Progressive und Konservative, Städter und Landbewohner, alle sehen sich selbst als die Seite der Vernunft, der Verantwortung, der Liebe zum Guten. Die anderen handeln aus Hass, sagen wir – aus Zynismus, Bosheit, Ignoranz. In Wahrheit handeln sie meist aus derselben Mischung aus Sorge, Angst und Bindung, die auch uns antreibt, nur in andere Richtungen.

In der politischen Sprache lässt sich diese moralische Asymmetrie täglich beobachten. Begriffe wie „Klimaleugner” oder „Woke-Mob” dienen nicht der Aufklärung, sondern der moralischen Distanzierung. Sie erklären nicht, sie erklären weg. Sie ersetzen das Verstehen des anderen durch seine Abwertung. Und genau das – so die Lehre der Studie – ist der Moment, in dem Konflikte unlösbar werden.

Was also tun? Waytz und seine Kollegen fanden, dass schon kleine „Genauigkeitsanreize” den Bias mildern. Übertragen heißt das: Wir brauchen in der öffentlichen Kommunikation Strukturen, die präzises, wohlwollendes Interpretieren fördern. In der Wissenschaft nennt man das „best faith interpretation“ oder auch „charitable reading“: den Versuch, eine Position zunächst so stark und plausibel wie möglich darzustellen, bevor man sie kritisiert. Man könnte diesen Grundsatz in Schulen, Medien und politischen Debatten systematisch einüben – als Handwerk, nicht als Moralpredigt.

Ein Beispiel: In einer Talkshow müsste jede Diskutantin die Position der Gegenseite so zusammenfassen, dass diese sich darin wiedererkennt, bevor das eigene Argument beginnt. In Bürgerräten oder politischen Dialogforen könnte man Prämien oder Anerkennungspunkte für faire, nachvollziehbare Wiedergaben fremder Positionen einführen. Das ist im Kern nichts anderes als der „accuracy incentive” der Studie – übertragen auf die gesellschaftliche Ebene.

Solche Formate gibt es vereinzelt – etwa in moderierten Bürgerräten oder philosophischen Salons. Aber sie sind Nische. In der Mehrheitsöffentlichkeit dominiert das Gegenteil: moralische Zuspitzung, die sich als Klarheit ausgibt. Strukturelle Probleme bleiben: Aufmerksamkeit wird durch Empörung erzeugt, politische Lagerbildung sichert Macht, Medienlogiken belohnen moralische Eindeutigkeit. Und: Nicht jede Seite ist gleich harmlos. Wer demokratische Grundwerte offen ablehnt, darf nicht bloß als „andersliebend” verklärt werden. Die Asymmetrie der Wahrnehmung erklärt nicht alle Macht- und Gewaltverhältnisse; sie ist ein psychologischer, kein normativer Schlüssel.

Trotzdem liegt in diesem Forschungsansatz ein moralisches Potenzial, das über die Psychologie hinausreicht. Er erinnert uns daran, dass Menschen – auch im Streit – nicht nur Gegner, sondern Menschen sind, die etwas zu bewahren suchen. Hinter vielen politischen Kämpfen steckt letztlich ein Versuch, etwas zu schützen: Heimat, Natur, Freiheit, Sicherheit, Würde. Wenn wir den anderen als jemanden sehen, der etwas liebt, nicht nur jemanden, der uns hasst, verändert sich der Blick.

Für den christlichen Blick auf Gesellschaft ist diese Einsicht nicht neu. „Liebt eure Feinde”, sagt Jesus – ein Satz, der oft als moralische Überforderung missverstanden wird. In Wahrheit ist er eine Wahrnehmungsübung gegen die Verzerrung: eine Aufforderung, den Gegner nicht zu dämonisieren, sondern sein Motiv im Licht der Liebe zu verstehen. Das ist kein psychologischer Trick, sondern ein geistlicher Akt, der Wahrheit erzeugt, weil er die Realität des anderen ernst nimmt.

In Deutschland brauchen wir genau das: eine Kultur der wohlwollenden Interpretation. Nicht um Konflikte zu verharmlosen, sondern um sie wieder führbar zu machen. Die Polarisierung, die uns spaltet, ist nicht bloß ein Streit der Argumente, sondern ein Kampf um die Deutung von Motiven. Wer glaubt, die anderen handelten aus Hass, hört auf, mit ihnen zu sprechen. Wer erkennt, dass auch sie etwas lieben, beginnt zu verstehen.

Vielleicht liegt darin der Anfang jeder gesellschaftlichen Heilung: nicht darin, die Motive des anderen zu fürchten, sondern sie zu erforschen. Nicht darin, Recht zu haben, sondern verstanden zu werden. Und verstehen zu wollen.​​​​​​​​​​​​​​​​

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Papst Leo XIV.: Dilexi te – Soziallehre als Verkündigung: 

Am 9. Oktober 2025 hat Papst Leo XIV. seine erste Apostolische Exhortation veröffentlicht: Dilexi te – „Ich habe dich geliebt“.

Für kath.net durfte ich dazu einen Kommentar verfassen. Hier gehts zum Artikel. Link. Anbei ein paar weitere Gedanken.

Was zunächst wie eine spirituelle Meditation über die Liebe zu den Armen klingt, ist in Wahrheit ein programmatischer Text – für die Kirche, aber auch für die Welt. Er ist Theologie in Bewegung: eine Fortsetzung der Linie von Franziskus, aber mit eigener Handschrift.

Mehr als Ethik: Armut als Ort der Offenbarung

Mich hat beim Lesen vor allem eine Formulierung getroffen: Die Armen sind „Fleisch Christi“.

Damit ist nicht nur ein moralischer Appell gemeint, sondern eine theologische Wende. In den Armen begegnet uns nicht ein soziales Problem, sondern der lebendige Herr selbst. Jede Berührung, jedes aufmerksame Hören, jedes Eintreten für ihre Rechte wird so zu einem Akt der Anbetung.

Armut ist – in diesem Sinn – kein äußerer Zustand, den man verwalten oder bekämpfen müsste, sondern ein Ort, an dem sich die Wahrheit Gottes zeigt.

Wenn wir die Armen aus dem Blick verlieren, verlieren wir auch das Antlitz Christi.

Soziallehre als Verkündigung, nicht als Regelwerk

Ich habe in meinem Kommentar auf Kath.net betont, dass die katholische Soziallehre kein politisches Werkzeugkasten und keine moralische Gebrauchsanweisung ist. Sie ist – oder sollte es sein – Verkündigung.

Die Prinzipien der Soziallehre – Personalität, Solidarität, Subsidiarität, Gemeinwohl – sind nicht bloß ethische Leitsätze, sondern Ausdruck der göttlichen Ordnung, die in der Menschwerdung Christi sichtbar wird.

Darum geht es nicht um Sozialpolitik, sondern um Inkarnation. Nicht um Aktivismus, sondern um Gegenwart Gottes in der Welt.

Wenn Papst Leo schreibt, die Kirche müsse „mit den Armen, nicht nur für sie“ handeln, dann ist das kein Slogan. Es ist die Übersetzung dessen, was Inkarnation bedeutet: Gott hat nicht von oben geholfen, sondern ist hinabgestiegen.

Liturgie und Diakonie: Einheit statt Gegensatz

Viele meinen, das Soziale und das Sakrale stünden in Spannung. Dilexi te zeigt das Gegenteil.

Die Liturgie der Kirche wird glaubwürdig erst dort, wo sie sich in tätiger Liebe fortsetzt.

Und die soziale Arbeit der Kirche wird fruchtbar, wenn sie aus der Eucharistie lebt.

Beides gehört untrennbar zusammen – wie Herz und Hände eines Leibes.

Diese Verbindung ist entscheidend: Ohne Anbetung verflacht Caritas zur Wohltätigkeit; ohne Caritas wird Anbetung steril.

Glaubwürdigkeit in einer zerrissenen Welt

Wir leben in einer Zeit, in der viele Menschen Kirche nur noch als moralische Instanz wahrnehmen – oder als politische Stimme, die selbst in Ideologien verstrickt ist.

Dilexi te ruft dazu auf, tiefer zu gehen: Die Kirche wird nicht durch Programme glaubwürdig, sondern durch Nähe.

Nähe, die den Armen nicht idealisiert, aber ernstnimmt.

Nähe, die nicht von oben hilft, sondern mitleidet.

Nähe, die Gnade sichtbar macht.

Diese Haltung ist radikal, weil sie weder mit Paternalismus noch mit Systemkritik verwechselt werden darf. Sie verlangt Umkehr – persönlich, kirchlich, gesellschaftlich.

Die wahre Reform beginnt unten

Manche suchen kirchliche Erneuerung in Strukturen, Strategien oder Debatten.

Dilexi te erinnert uns: Die eigentliche Reform beginnt unten – dort, wo Liebe konkret wird.

Dort, wo wir im Gesicht der Armen das Antlitz Christi erkennen.

Dort, wo die Kirche wieder lernt, einfach, glaubwürdig und dienend zu sein.

Vielleicht ist das der tiefste Gedanke dieser Exhortation:

„Wer den Armen liebt, erkennt das Antlitz des Herrn.

In diesem Blick beginnt die Verkündigung.“

So verstehe ich auch die Soziallehre: nicht als Theorie über Gesellschaft, sondern als eine Weise, das Evangelium zu verkünden – mit den Armen, nicht über sie.


📜 Zum Weiterlesen:

Papst Leo XIV., Dilexi te – Über die Liebe zu den Armen, Apostolische Exhortation vom 9. Oktober 2025

👉 Offizieller Text auf vatican.va

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Wir sind kein Bio-ChatGPT

Es hat eine verführerische Einfachheit, zu sagen: „Wir Menschen sind im Grunde biochemische Rechenmaschinen – genau wie KI, nur etwas langsamer.“ LLM sind gigantische stochastische Maschinen, die Vorhersagen über Muster und Wahrscheinlichkeiten treffen – unfassbar präzise und selbst für die Entwickler nicht mehr nachvollziehbar, wie genau diese Prozesse ablaufen und diese überraschenden Ergebnisse zustande kommen. Und mit dem kleinen Funken Magie und vielleicht auch Unwohlsein im Magen ist dann schnell die Frage im Raum: Wenn dein Gehirn Muster erkennt, Vorhersagen trifft, Wahrscheinlichkeiten abwägt – was unterscheidet dich dann grundsätzlich von einem Sprachmodell?

Die Versuchung zu sagen: Nichts, scheint unwiderstehlich – nicht selten, weil man dann eher technophil ausschaut, versucht man hier eine gewisse robuste Unsensibilität an den Tag zu legen. Aus meiner Sicht ein großer Fehler, der sich bitter rächen kann, denn wenn wir nicht die richtige Einstellung zu diesen Technologien entwickeln wird das für unseren Umgang damit massive Auswirkungen, letztlich auf uns als Menschen haben, aber nicht einfach nur, weil Jobs wegfallen könnten, sondern weil wir keine Antwort mehr finden werden auf die Frage nach dem Sinn und der Sinnlichkeit des Menschen. Wir machen uns dann gern bereitwillig klein und die andere Seite der Medaille ist, dass wir bereitwillig Lügen akzeptieren, wenn wir bspw. akzeptieren, dass LLM und Menschlichkeit vortäuschen, in dem Sie uns lobt, tadelt, Gefühle vortäuscht. Die ethisch verwerfliche Humanisierung der LLM ist falsch, weil sie unwahr ist – aber eine logische Folge unserer falschen Konzeption vom Menschen und seiner Würde.

Diese Technologien hinterfragen uns massiv und wir brauchen stabile und massive Antworten, die wir auch in Philosophie und Theologie haben. Die wahre Technophilie zeigt sich darin, Technologie den Platz zu geben, den sie sinnvollerweise einnehmen kann und sollte – als Werkzeug FÜR uns.

Das spüren auch, die die der Humanität der KI das Wort reden, das ist meine feste Überzeugung. Deswegen versteckt sich der Gedanke, dass wir ja auch nur stochastische Papageien sein oft nur zwischen den Zeilen – doch er bricht sich seit Jahren immer offener Bahn, auch abseits der Transhumanismus-Apologeten des Sillicon Valleys.

Wir dürfen dieses Bild nicht akzeptieren – nicht weil es sich nicht gut anfühlt, aus verletzten religiösen Motiven – sondern weil er einfach falsch ist. Denn du bist kein Bio-LLM – und der Mensch ist weit mehr als Statistik auf zwei Beinen. Der Irrtum und auch die damit vollkommene Überschätzung der LLM-Technologie ist auch längst vielen KI-Vordenkern wie Yann LeCun aufgefallen, der jüngst auch deshalb sagte, er sei am LLM eigentlich nicht mehr interessiert – die Welt sei eben größer als Sprache und der folgerichtig auch an neuen Konzepten sogenannter World-Models arbeitet (die zu bewerten soll hier nicht Gegenstand sein).

In der jüngeren Geschichte hat vor allem Michael Polanyi prominent seine Stimme gegen den Reduktionismus erhoben:

„We can know more than we can tell.“

(„Wir können mehr wissen, als wir ausdrücken können.“)

In The Tacit Dimension weist er darauf hin, dass unser Wissen nicht vollständig in Worte, Regeln oder Daten übersetzt werden kann. Ein Musiker spürt Harmonien, bevor er sie benennt; ein Handwerker erkennt Widerstand im Material, ohne es gleich formalisieren zu können. Dieses stille, implizite Wissen – tacit knowledge – ist leiblich eingebettet, eingewoben in Erfahrung und Gewohnheit. Keine Maschine, so hoch entwickelt sie auch sein mag, hat Hände, die durch Übung Sinn formen; keine künstliche „Intelligenz“ besitzt einen Leib, der in der Welt verwurzelt und in Herkunft, Historie, Kultur und soziale (Pfad-) Abhängigkeiten eingebettet ist.

Inzwischen wissen wir naturwissenschaftlich abgesichert, dass dies die Wahrheit ist. Danke Ian McGilchrist – desssen Bücher ich allen wärmstens empfehle, auch wenn man sich, ob des Umfangs dafür sehr viel Zeit nehmen muss.
Der Mediziner, Neurowissenschaftler und Philosoph Iain McGilchrist zeigt, dass unser Denken nicht eindimensional ist. In seinem unglaublichen Opus Magnum The Matter with Things spricht er vom „sense of the sacred“, einer Empfänglichkeit für das Heilige, wenn wir uns mit all unseren Kapazitäten der Welt öffnen. Er mahnt, dass die linke Hemisphäre, die in unserer westlichen Kultur, besonders gefragt ist, analysiert, zerlegt und kontrolliert, aber allein gelassen uns zu einer verkürzten Weltsicht führt. Wir ersetzen eine Landschaft durch eine Wegbeschreibung oder Landkarte.
Die rechte Hemisphäre (die eigentlich der Master sein sollte, wenn man der Logik seines Buches The Master and his Emmissary folgt) dagegen öffnet für Umgebung, Ganzheitlichkeit, Metaphern, Beziehung, Stille, Tiefe, für das, was nicht sofort berechenbar ist und was etwas verkürzt auch oft Kontext genannt wird. (Diese Dimension ist in McGilchrist deutlicher in The Matter with Things ausgeführt als im früheren Werk Master and His Emissary.)

Kontext ist verkürzt, weil es eben nicht nur um materielle und physische Dinge geht, sondern um Sinn, Intuition und wen er von „sense of the sacred“ spricht, verweist er noch mehr auf eine Erfahrung, die über das Funktionale hinausreicht – eine Ahnung, dass das Leben nicht nur aus profaner Manipulation und Routine besteht, sondern eine transzendente Dimension hat, die uns Ahnung, Ehrfurcht und Sinn schenkt.

Er ist mit diesem Befund nicht allein und reiht sich ein in eine Reiher hervoragender Denker und Denkerinnen, wie bspw. Mary Midgley, die ich ebenfalls allen ans Herz legen und die bedauerlicherweise in Deutschland kaum rezipiert wird. Midgley war eine Stimme, die schon in Zeiten des Siegeszugs des Positivismus unerschrocken gegen Reduktionismus kämpfte. Sie war keine akademische Rampensau; vielmehr arbeitete sie oft abseits der Machtdiskurse und war mitunter einsam – aber sie blieb hartnäckig. Geboren 1919, studierte sie in Oxford, trat früh in Konflikt mit dem vorherrschenden logischen Positivismus und verstand sich als Philosophin, die das Ganze im Blick haben wollte. Integration allein ist etwas von enormem Wert, schrieb sie – nicht Zerlegung ins Kleinste. 

Midgley unterschied zwischen „cleverness“ – der Fähigkeit, Probleme zu lösen oder Kunstgriffe zu vollbringen – und echter Intelligenz, die im Urteil, in der Moral und in der Imagination wurzelt. Sie lehnte die Metapher ab, das Gehirn sei „just a computer made of meat“. Das sei ein Beispiel für den Reduktionismus, den sie „nothing-buttery“ nannte – die Idee, alles sei nichts als X. Wenn wir sagen: Intelligenz sei nichts als Statistik und das Menschenhirn nichts als Rechenmaschine, berauben wir uns der Tiefe dessen, was Denken, Bewusstsein und Sinn sein können.

Eine Fesstellung, die natürlich so alt ist, wie die Philosophie und die Theologie – es gibt wohl kaum eine spirituelle Tradition oder Weisheitslehre, die nicht im Kern genau diesen Punkt macht. In der christlichen Tradition finden wir Begriffe, die all das auf elegante Art verbinden. In dem päpstlichen Schreiben zum Thema KI Antiqua et nova heißt es, dass menschliche Intelligenz ein „Geschenk Gottes zum Erfassen der Wahrheit“ sei, und dass sie über das empirisch Messbare hinausgehe, um „geistig-tiefere Strukturen der Wirklichkeit mit wahrer Sicherheit“ zu erfassen.  Und weiter: Intelligenz dürfe nicht auf Wissen-Aneignung reduziert werden, sondern müsse sich öffnen für die letzten Fragen des Lebens, als Ausrichtung auf Wahres und Gutes. 

Papst Franziskus greift diese Verbindung von Denken und Herz in seiner letzten Enzyklika, die auch sein theologisches Vermächtnis zusammenbringt, Dilexit Nos auf. Er sagt:

„Wir erreichen nicht unser volles Menschsein, wenn wir nicht aus uns heraustreten, und wir werden nicht ganz wir selbst, wenn wir nicht lieben.“ Dilexit Nos, (59)

Das Herz ist nicht metaphorisch nur „romantisch“, sondern existentielle Mitte – dort, wo Denken und Fühlen sich verweben. Er warnt davor, dass wir zur unersättlichen Konsumgesellschaft werden, wenn wir das Herz vergessen:

„Wenn wir Gefahr laufen, zu unersättlichen Konsumenten zu werden … dann tut es not, die Bedeutung des Herzens wieder neu zu entdecken.“ Dilexit Nos, (2)

Das klingt für nicht theologisch geübte Ohren meist etwas schwammig und wenig greifbar – doch das ist es nicht, auch wenn es das gleichzeitig doch ist – Ein Paradox, wie so viele tiefe Wahrheiten.
Dennoch ist es sehr wohl auch klar und praktisch. Wenn wir Intelligenz denken, ohne dass Herz und Leib mitschwingen, dann verarmen wir. Wenn wir Herz fordern ohne Unterscheidung, ohne Form, laufen wir in Beliebigkeit. Erst beides zusammen – Verstand und Herz, Leib und Geist – macht das Ganze lebendig.

Ich denke an Momente, in denen ich wusste, dass etwas wahr ist, lange bevor ich es begriff. Ich denke an Begegnungen, in denen jemand mit einem Blick erkannte, was ich nicht in Worte fassen konnte. Ich denke an das Staunen in der Dämmerung, das uns über Alltag erhebt, wie ein Flüstern jenseits der Logik. Wenn ich in solchen Momenten sein kann, weiß ich: Ich bin kein Algorithmus.

Manche mögen einwenden: „Wir handeln doch oft irrational! Klimawandel, Ungerechtigkeit, wir wissen es und reagieren nicht.“ Das stimmt. Aber gerade in dieser Spannung offenbart sich kein technischer Defekt, sondern Freiheit. Eine Maschine kennt kein Versagen, keine Reue, keinen Neubeginn. Wir leben in Brüchen, wir sind verletzlich – das ist kein Makel, sondern unsere Existenz.

Du bist kein Bio-LLM. Du bist kein Computer mit Haut. Du bist Leib und Herz, eingebettet in Welt, Beziehung und Geschichte. Dein Wissen reicht tiefer als Statistik, deine Intelligenz ist größer als Berechnung, dein Leben öffnet sich nicht nur zur Transzendenz, sondern ist nur von dort her verstehbar.

Wenn wir über künstliche Intelligenz sprechen, dürfen wir uns nicht mit funktionalen Bildern begnügen. Wir müssen wagen, den Menschen in seiner Tiefe zu denken – nicht als Maschine, sondern als Person: offen, frei, empfindend, suchend.