Am 9. Oktober 2025 hat Papst Leo XIV. seine erste Apostolische Exhortation veröffentlicht: Dilexi te – „Ich habe dich geliebt“.
Für kath.net durfte ich dazu einen Kommentar verfassen. Hier gehts zum Artikel. Link. Anbei ein paar weitere Gedanken.
Was zunächst wie eine spirituelle Meditation über die Liebe zu den Armen klingt, ist in Wahrheit ein programmatischer Text – für die Kirche, aber auch für die Welt. Er ist Theologie in Bewegung: eine Fortsetzung der Linie von Franziskus, aber mit eigener Handschrift.
Mehr als Ethik: Armut als Ort der Offenbarung
Mich hat beim Lesen vor allem eine Formulierung getroffen: Die Armen sind „Fleisch Christi“.
Damit ist nicht nur ein moralischer Appell gemeint, sondern eine theologische Wende. In den Armen begegnet uns nicht ein soziales Problem, sondern der lebendige Herr selbst. Jede Berührung, jedes aufmerksame Hören, jedes Eintreten für ihre Rechte wird so zu einem Akt der Anbetung.
Armut ist – in diesem Sinn – kein äußerer Zustand, den man verwalten oder bekämpfen müsste, sondern ein Ort, an dem sich die Wahrheit Gottes zeigt.
Wenn wir die Armen aus dem Blick verlieren, verlieren wir auch das Antlitz Christi.
Soziallehre als Verkündigung, nicht als Regelwerk
Ich habe in meinem Kommentar auf Kath.net betont, dass die katholische Soziallehre kein politisches Werkzeugkasten und keine moralische Gebrauchsanweisung ist. Sie ist – oder sollte es sein – Verkündigung.
Die Prinzipien der Soziallehre – Personalität, Solidarität, Subsidiarität, Gemeinwohl – sind nicht bloß ethische Leitsätze, sondern Ausdruck der göttlichen Ordnung, die in der Menschwerdung Christi sichtbar wird.
Darum geht es nicht um Sozialpolitik, sondern um Inkarnation. Nicht um Aktivismus, sondern um Gegenwart Gottes in der Welt.
Wenn Papst Leo schreibt, die Kirche müsse „mit den Armen, nicht nur für sie“ handeln, dann ist das kein Slogan. Es ist die Übersetzung dessen, was Inkarnation bedeutet: Gott hat nicht von oben geholfen, sondern ist hinabgestiegen.
Liturgie und Diakonie: Einheit statt Gegensatz
Viele meinen, das Soziale und das Sakrale stünden in Spannung. Dilexi te zeigt das Gegenteil.
Die Liturgie der Kirche wird glaubwürdig erst dort, wo sie sich in tätiger Liebe fortsetzt.
Und die soziale Arbeit der Kirche wird fruchtbar, wenn sie aus der Eucharistie lebt.
Beides gehört untrennbar zusammen – wie Herz und Hände eines Leibes.
Diese Verbindung ist entscheidend: Ohne Anbetung verflacht Caritas zur Wohltätigkeit; ohne Caritas wird Anbetung steril.
Glaubwürdigkeit in einer zerrissenen Welt
Wir leben in einer Zeit, in der viele Menschen Kirche nur noch als moralische Instanz wahrnehmen – oder als politische Stimme, die selbst in Ideologien verstrickt ist.
Dilexi te ruft dazu auf, tiefer zu gehen: Die Kirche wird nicht durch Programme glaubwürdig, sondern durch Nähe.
Nähe, die den Armen nicht idealisiert, aber ernstnimmt.
Nähe, die nicht von oben hilft, sondern mitleidet.
Nähe, die Gnade sichtbar macht.
Diese Haltung ist radikal, weil sie weder mit Paternalismus noch mit Systemkritik verwechselt werden darf. Sie verlangt Umkehr – persönlich, kirchlich, gesellschaftlich.
Die wahre Reform beginnt unten
Manche suchen kirchliche Erneuerung in Strukturen, Strategien oder Debatten.
Dilexi te erinnert uns: Die eigentliche Reform beginnt unten – dort, wo Liebe konkret wird.
Dort, wo wir im Gesicht der Armen das Antlitz Christi erkennen.
Dort, wo die Kirche wieder lernt, einfach, glaubwürdig und dienend zu sein.
Vielleicht ist das der tiefste Gedanke dieser Exhortation:
„Wer den Armen liebt, erkennt das Antlitz des Herrn.
In diesem Blick beginnt die Verkündigung.“
So verstehe ich auch die Soziallehre: nicht als Theorie über Gesellschaft, sondern als eine Weise, das Evangelium zu verkünden – mit den Armen, nicht über sie.
📜 Zum Weiterlesen:
Papst Leo XIV., Dilexi te – Über die Liebe zu den Armen, Apostolische Exhortation vom 9. Oktober 2025