Wenn man einen Abend lang mit jungen Menschen zusammensitzt, wird einem manchmal schlagartig bewusst, wie sehr sich unsere Welt verändert hat – und wie schnell. Neulich war ich im Haus Schweidt zu Gast, einem dieser wunderbaren Orte, an denen man noch so etwas wie echte Gesprächskultur erleben kann. Kein Panel, keine PowerPoint, kein „Ich präsentiere euch jetzt die Welt in sieben Thesen“, sondern einfach ein Raum, in dem Menschen beisammensitzen, aneinander interessiert sind und gemeinsam fragen: Was machen die Medien heute mit uns? Und vielleicht auch: Was machen wir mit ihnen?
Ich sollte einen Impuls geben – fünf, vielleicht zehn Minuten –, aber wie das so ist, wenn man anfängt über Medien zu sprechen, öffnet sich sofort ein weites Feld. Vielleicht habe ich deshalb einfach erzählt, was mir schon seit längerem durch den Kopf geht: dass wir in einer merkwürdigen Zwischenwelt leben, in der wir zwar alles sehen, aber kaum noch etwas einordnen können. Wir wissen unendlich viel, aber es fehlt uns der Boden. Und die Medien spielen dabei eine größere Rolle, als uns oft bewusst ist.

Es ist ja kein Geheimnis mehr, dass die klassischen Geschäftsmodelle der Medien zerbrochen sind. Was früher vom Vertrauen in Redaktion, Recherche und Handwerk getragen wurde, wird heute vor allem durch Aufmerksamkeit gesteuert. Und Aufmerksamkeit folgt keinem moralischen Kompass. Sie folgt dem, was laut ist, grell, empörend, emotional. Das heißt nicht, dass Journalistinnen und Journalisten ihre Arbeit schlechter machen – im Gegenteil, viele kämpfen gegen den Strom. Aber die Struktur, in der sie arbeiten müssen, hat sich verändert: Der Algorithmus entscheidet, nicht das Ethos.
Wir spüren alle, was das mit uns macht. Die Welt scheint schriller, brüchiger, nervöser zu werden. Und gleichzeitig wächst ein merkwürdiges Bedürfnis nach Nähe – nicht unbedingt nach Wahrheit, sondern nach Menschen. Vielleicht erklärt das auch einen Trend, über den wir an meiner Hochschule kürzlich lange diskutiert haben: dass große Streaminganbieter weggehen vom klassischen „Was passiert?“-Erzählen und stärker auf den inneren Weg der Figuren setzen. Weniger Handlung, mehr Charakter. Weniger Plot, mehr Psychologie.
Mich hat das zunächst gewundert. Aber je länger ich darüber nachdenke, desto plausibler erscheint es mir. Vielleicht liegt es daran, dass wir in einer Zeit leben, in der äußere Ordnungen fragiler geworden sind. Früher lebten Geschichten von einem Ziel, einem Sinn, einer Aufgabe – und wir glaubten daran, dass es irgendwo eine Linie gibt, die Orientierung bietet. Heute scheint diese Linie vielen abhandengekommen zu sein. Die Menschen suchen nicht mehr danach, wie die Welt ist, sondern wer sie selbst sind. Und so suchen sie in Serien, Filmen und Medien nach Spiegeln: nach Figuren, die ringen, zweifeln, sich verlieren, sich suchen. Die Psychologie ist zur großen Erzählung geworden, vielleicht sogar zur Ersatzform des Religiösen. Die großen Sinnfragen tauchen nicht mehr als metaphysische Horizonte auf, sondern als innere Konflikte fiktiver Personen.
Und dann ist da die KI, die den ganzen Prozess noch einmal beschleunigt. Auch darüber haben wir im Haus Schweidt viel gesprochen, fast intensiver als über die Medien selbst. Viele spüren, dass wir an einer Wegscheide stehen – und zwar nicht nur technologisch, sondern kulturell und anthropologisch. Künstliche Intelligenz ist ja nicht einfach ein neues Werkzeug wie die Schreibmaschine oder das Smartphone. Sie greift viel tiefer. Sie verändert die Art, wie wir Wahrnehmung, Wissen, Arbeit, sogar Wahrheit verstehen.
Mich beschäftigt besonders, dass KI in weiten Teilen ohne demokratische Rückbindung entsteht – das war bei Technologie und Innovation schon immer so und lässt sich auch praktisch nur schwer verändern – aber hier wird es vermehrt zum Problem. Es sind sehr wenige große Konzerne und letztlich nur sehr wenige Personen, die diese Technik formen, während die Gesellschaft eigentlich nur hinterherläuft. Wir haben im Gespräch gemerkt, wie unwohl uns dieser Gedanke ist. Wie viel Macht sich da gerade verschiebt – und wie wenig darüber gesprochen wird. Dass Algorithmen künftig mitbestimmen könnten, was wir sehen, wie wir arbeiten, wie wir kommunizieren, ist keine düstere Fantasie. Es ist bereits Realität. Und wir stehen erst am Anfang.
Gleichzeitig verändert KI die Arbeitswelt in einem Tempo, das vielen Angst macht. Manche Tätigkeiten werden verschwinden, andere völlig neu entstehen. Sicher ist nur: Die Anforderungen werden eher steigen als sinken. Was wir brauchen, ist nicht mehr reines Fachwissen, sondern die Fähigkeit, Verbindungen zu sehen – zwischen Technik und Kultur, zwischen Ethik und Ökonomie, zwischen Psychologie, Kunst, Philosophie, Theologie. Wir müssen wieder Generalisten werden, nicht weil Spezialisierung unwichtig wäre, sondern weil KI nur dort wirklich hilfreich ist, wo der Mensch das große Ganze versteht.
All das kann man beunruhigend finden – oder als Chance begreifen. Ich neige zur zweiten Sicht, nicht weil ich naiv wäre, sondern weil der christliche Glaube uns daran erinnert, dass Angst ein schlechter Ratgeber ist. „Wer Hoffnung hat, lebt anders“, schreibt Benedikt XVI. Und ich glaube, dass genau das heute wichtiger ist als jeder medienethische Kodex. Hoffnung heißt nicht, die Probleme zu beschönigen. Hoffnung heißt, sich ihnen nicht zu ergeben. Sie heißt, innerlich frei zu bleiben, auch wenn die Welt lauter wird. Und sie heißt, als Mensch – und als Christ – so aufzutreten, dass man spüren kann: Da ist jemand, der nicht im gleichen Sog aus Empörung und Hektik gefangen ist.
Es kam mir an diesem Abend wieder in den Sinn, dass wir als Christen nicht erst dann Zeugnis geben, wenn wir über den Glauben reden. Wir geben es bereits, wenn wir eine bestimmte Art haben, präsent zu sein. Wenn wir nicht sofort zurückschreiben. Wenn wir zuhören. Wenn wir – gerade in den Medien – nicht die Pose der Entrüstung wählen, sondern eine Haltung der Gelassenheit und des Friedens. Unsere digitale Persona ist längst Teil unseres geistlichen Lebens. Sie zeigt etwas von uns, und damit auch etwas von dem, worauf wir hoffen.
Vielleicht ist das am Ende die wichtigste Einsicht, die ich aus dem Abend im Haus Schweidt mitgenommen habe: dass die Frage nach Medien, KI, Wahrheit und Gesellschaft nicht abstrakt ist. Sie ist zutiefst menschlich. Und sie ist zutiefst spirituell. Sie berührt die Frage, wer wir sind und welchen Klang unser Leben haben soll. Die Technik wird weitergehen. Die Algorithmen werden besser werden. Aber die Verantwortung, wie wir miteinander sprechen, wie wir einander begegnen und welche Geschichten wir über uns selbst glauben – die liegt weiterhin bei uns.
Und vielleicht beginnt sie ganz schlicht damit, gelegentlich das Handy wegzulegen und jemandem in die Augen zu schauen, der gerade wirklich da ist.



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