Christliche Umweltethik im Dialog mit Albert Schweitzer
In Zeiten globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel oder der sozialen Ungerechtigkeit stehen viele Menschen vor der Frage: Warum sollten wir Verantwortung übernehmen und uns für die Bewahrung der Schöpfung einsetzen, wenn letztlich doch Gott die Welt erlöst? Diese Spannung zwischen Hoffnung und Fatalismus findet eine tief verwurzelte Antwort in der katholischen Soziallehre. Besonders beeindruckend ist, wie die Ethik von Albert Schweitzer und seine „Ehrfurcht vor dem Leben“ sich mit der christlichen Lehre verzahnt und gemeinsam ein kraftvolles Bild menschlicher Verantwortung in der Welt zeichnet. Darüber hinaus betonen Päpste wie Benedikt XVI. in Spe Salvi und Johannes Paul II. die zentrale Bedeutung von Christus und der Inkarnation für eine tätige Hoffnung im Diesseits.
Ehrfurcht vor dem Leben und die christliche Verantwortung für die Schöpfung
Albert Schweitzer formulierte seine berühmte Ethik der „Ehrfurcht vor dem Leben“ als eine universelle Verpflichtung des Menschen, das Leben in all seinen Formen zu schützen und zu fördern. Er sah das Leben als höchsten Wert, den es zu bewahren gilt, unabhängig von seiner äußeren Erscheinung oder seiner Nützlichkeit für den Menschen. Schweitzer fordert eine moralische Haltung, die das Leiden vermindert und das Leben verteidigt, wo immer es möglich ist.
Diese Sichtweise passt auf beeindruckende Weise zu der christlichen Vorstellung der Schöpfungsverantwortung. Die katholische Lehre, insbesondere in der Enzyklika Laudato Si’ von Papst Franziskus, betont ebenfalls den Wert der gesamten Schöpfung. Der Mensch ist als Imago Dei (Ebenbild Gottes) berufen, die Schöpfung zu bewahren, zu pflegen und in ihrer Vielfalt zu schützen. Der Mensch ist nicht der Herrscher über die Schöpfung, sondern ihr Verwalter im Auftrag Gottes. Papst Franziskus schreibt:
„Die Menschheit ist aufgerufen, die Erde zu bebauen und zu hüten” (vgl. Gen 2,15). Diese Arbeit versteht sich als Dienst, der im Einklang mit der Natur stehen muss.“ (Laudato Si’ 95)
Hier sehen wir eine enge Verwandtschaft mit Schweitzers Ehrfurcht vor dem Leben. Beide Ethiken fordern den Menschen auf, das Leben nicht nur als Ressource zu betrachten, sondern als Geschenk, das es zu bewahren und zu fördern gilt. Die Schöpfung hat einen Eigenwert, der respektiert werden muss, unabhängig von ihrer Nützlichkeit für den Menschen.
Schweitzers universale Ethik und christliche Nächstenliebe
Albert Schweitzer forderte in seiner Ethik eine universelle Verantwortung gegenüber allen Lebewesen. Dieser Gedanke, der sich auf das Leben als Ganzes bezieht, steht im Einklang mit der christlichen Nächstenliebe (Caritas). Die katholische Soziallehre betont, dass Nächstenliebe nicht nur zwischenmenschliche Beziehungen umfasst, sondern auch die Beziehung des Menschen zur gesamten Schöpfung.
In Laudato Si’ unterstreicht Papst Franziskus diese Erweiterung der Nächstenliebe:
„Wir müssen anerkennen, dass andere Lebewesen einen Eigenwert vor Gott haben, und durch ihre bloße Existenz verherrlichen sie ihn und geben ihm Ehre.“ (Laudato Si’ 92)
Die christliche Nächstenliebe fordert daher eine Haltung der Achtung gegenüber der gesamten Schöpfung, ähnlich wie Schweitzer die Ehrfurcht vor dem Leben als universalen Imperativ beschreibt. Die Bewahrung des Lebens wird so zu einem Ausdruck tätiger Liebe, die das Wohl der anderen – ob Mensch oder Tier – in den Mittelpunkt stellt.
Tätige Hoffnung: Das Handeln im Angesicht von Gottes Heil
Sowohl Schweitzer als auch die christliche Lehre betonen, dass die Achtung des Lebens und die Bewahrung der Schöpfung keine passiven Haltungen sind, sondern zu aktivem Handeln führen müssen. Die Ehrfurcht vor dem Leben ist für Schweitzer ein Imperativ, der den Menschen dazu verpflichtet, das Leben zu fördern und Leiden zu verringern. Ebenso ist die christliche Hoffnung keine bloße Erwartung auf ein zukünftiges göttliches Eingreifen, sondern eine tätige Hoffnung, die bereits im Hier und Jetzt wirkt.
Diese tätige Hoffnung wird besonders deutlich in der Enzyklika Spe Salvi von Papst Benedikt XVI. Hier betont er, dass christliche Hoffnung immer aktiv ist und den Menschen dazu drängt, an der Verwirklichung des Guten mitzuwirken, auch wenn die endgültige Vollendung in Gottes Händen liegt:
„Die wahre, die große Hoffnung des Menschen, die trotz aller Enttäuschungen durch den Menschen im Kleinen immer noch bleibt, kann nur Gott sein – der Gott, der uns liebt und der uns bis zum Äußersten geliebt hat, jede einzelne und die Menschheit im Ganzen.“ (Spe Salvi 27)
Diese Hoffnung ist keine bloße Vertröstung auf das Jenseits, sondern fordert den Menschen auf, bereits im Diesseits Verantwortung zu übernehmen. Der Glaube an Gott, der in Jesus Christus Mensch geworden ist, gibt dem Christen die Zuversicht und den Antrieb, aktiv an der Schöpfung mitzuwirken.
Die Inkarnation: Christus als Schlüssel zur tätigen Hoffnung
Ein zentrales Element der christlichen Lehre, das die tätige Hoffnung im Diesseits besonders begründet, ist die Inkarnation – also die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus. Johannes Paul II. hat wiederholt darauf hingewiesen, dass die Menschwerdung Gottes zeigt, wie tief Gott selbst in die menschliche Geschichte eingreift. In Christus hat Gott die menschliche Natur angenommen, um die Welt von innen heraus zu erlösen. Damit wird klar: Das Diesseits ist von enormer Bedeutung, und das Handeln in der Welt ist ein Teil des Heilsplans Gottes.
Papst Johannes Paul II. erklärt in seiner Enzyklika Redemptor Hominis:
„Die Inkarnation des Gottessohnes ist das zentrale Ereignis in der Geschichte der Menschheit und des Kosmos. Durch Christus wird alles neu gemacht, und die Menschen sind aufgerufen, an diesem Erlösungswerk teilzuhaben.“ (Redemptor Hominis 8)
Durch die Inkarnation wird die Welt als Schöpfung und Ort der Erlösung aufgewertet. Christus selbst lebte auf dieser Erde und wirkte im Diesseits. Diese Tatsache gibt dem Christen die Gewissheit, dass sein Handeln in der Welt von Bedeutung ist. Die Hoffnung auf Gottes Reich ist also nicht nur auf das Jenseits gerichtet, sondern auch auf die jetzige Zeit, in der der Christ aktiv dazu aufgerufen ist, mit Gottes Hilfe an der Erneuerung der Welt mitzuwirken.
Der Brückenschlag: Schweitzer und die christliche Hoffnung
Albert Schweitzers „Ehrfurcht vor dem Leben“ und die christliche Lehre ergänzen sich in vielerlei Hinsicht. Schweitzer betont die universale Verantwortung gegenüber allem Lebendigen, während die katholische Lehre diese Verantwortung als Teil der menschlichen Berufung als Imago Dei versteht. Beide Ethiken lehnen Fatalismus ab und fordern tätiges Handeln in der Welt.
Besonders bedeutsam ist die theologische Grundlage der christlichen Hoffnung: In Christus, der Mensch wurde und in der Welt wirkte, finden wir die Gewissheit, dass unser Handeln im Diesseits von Gott gewollt und begleitet wird. Papst Benedikt XVI. bringt es in Spe Salvi auf den Punkt: Die Hoffnung, die uns durch Christus geschenkt wurde, befähigt uns, aktiv und verantwortungsvoll in der Welt zu handeln, ohne in Panik oder Resignation zu verfallen.
Albert Schweitzers Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben und die christliche Lehre der tätigen Hoffnung bieten eine kraftvolle Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit. Sie fordern beide den Menschen auf, Verantwortung für die Schöpfung zu übernehmen und aktiv zum Wohl des Lebens beizutragen. Während Schweitzers Ethik das Leben als höchsten Wert erkennt, begründet die christliche Lehre diese Verantwortung durch die Inkarnation und das Erlösungswerk Christi. Gemeinsam betonen sie, dass das Handeln im Diesseits nicht nur möglich, sondern notwendig ist – getragen von der Hoffnung auf Gottes Heil und der Verpflichtung zur Ehrfurcht vor allem Leben.